E-Commerce in der Modebranche 2017: Technologischer Stand und strategische Herausforderungen
Der Umsatz soll gesteigert, die Marke gestützt und im besten Fall die Herzen der Konsumenten erobert werden. Allerdings ist das nur Wunschdenken, was der E-Commerce leisten soll. Stattdessen ist Schmalhans Küchenchef und den Kunden wird oft nur fade Kost vorgesetzt. Nicht weil den Machern die Ideen ausgehen. Veraltete Systeme, die zusammengefriemelt werden, bremsen die Shopbetreiber aus. Die Investitionen fließen meist in Basisfunktionen. Die Budgets sind beschränkt.
Mode und Online-Handel bilden im Markt eine recht umstrittene Mixtur. Zwar sehen viele Markenartikler darin ein recht wirksames Heilmittel, Umsatzrückgänge aufzufangen und dabei für die Marke etwas Gutes zu tun. Umgekehrt schöpfen nur die großen Player das Fett in der Suppe ab und übrig bleibt eine ziemlich fade Brühe, bei deren Genuss die Firmen nun wahrlich kein Fett ansetzen. Im Gegenteil – Retouren und Preisverfall sind bekannte Nebenwirkungen. Gleichwohl nimmt die Branche die genannten Auswirkungen mehr oder weniger klaglos hin. Und trotzdem wurden laut HDE mit Fashion und Accessoires 11 Milliarden Euro Umsatz im vergangenen Jahr gemacht, das entspricht rund einem Viertel der gesamten Online-Umsätze in Deutschland.
Die w&co, Full-Service-Mediendienstleister mit Sitz in München, hat während der letzten Fashion Week in Berlin 82 Interviews mit Marketing- und Vertriebsverantwortlichen geführt. Jetzt wurden die Ergebnisse vorgestellt („E-Commerce in der Modebranche 2017: Technologischer Stand und strategische Herausforderungen“).
Wenn Anbieter im Internet mit eigenen Aktivitäten unterwegs sind, geht es um Umsatz, das ist klar. Es geht aber auch um die Themen Markenstärkung und Senkung der Vertriebskosten. Hier ist anzumerken, dass gerade kleine und junge Labels sonst gar keine Chance haben, ihre Klamotte an den Mann zu bringen – das Ziel der Modebranche im E-Commerce. Gleichzeitig wollen sich die Labels mit ihrem Auftritt auch vom Wettbewerb abheben. Ein Selbsttest mit willkürlich ausgewählten Marken zeigt allerdings, subjektiv betrachtet, mit nur mäßigen Erfolg.
Veraltete IT-Systeme bremsen den E-Commerce in der Modebranche
„Eine untergeordnete Rolle spielen Kundenzentrierung und die Entwicklung von echtem Omnichannel Commerce mit dem Webshop als zentraler Plattform für alle Kommunikationskanäle“, heißt es in der Studie. Eine auf den ersten Blick erstaunliche Erkenntnis, die allerdings einen ziemlich profanen Hintergrund hat: „Es hat technische Gründe“, sagen die Studienautoren. „Denn so gut wie alle – 79 von 82 Befragten – gaben an, dass fehlende oder unzureichende Schnittstellen zu anderen Systemen den Datenaustausch behindern, was Doppelarbeit erfordert beziehungsweise das E-Commerce-System fehleranfällig macht. Neben der mangelnden Systemintegration (Grafik 2), die von über 96 Prozent als zentraler Hemmschuh für die Weiterentwicklung von E-Commerce und Online-Umsatz genannt wurde“, beklagen laut Studie 40 Prozent, dass ihre Webshop-Systeme veraltet sind, wodurch Pflege und Updates sehr aufwendig würden. Zudem gaben gut 40 Prozent an, dass Grundlagen wie Content-Erstellung, -Aufbereitung und -Steuerung für E-Commerce zu unbeweglich seien und so zu wenig Raum bleibe für Neues.
Schließlich stellen auch Studienautoren fest, dass viele, die heute E-Commerce-Systeme betreiben, schon einige Jährchen auf dem Buckel haben. „Diesen Systemen fehlt die nötige Integrationsfähigkeit und Flexibilität in den Funktionen. In der Folge wurden ‚selbst gestrickte‘ Schnittstellen und Anpassungen vorgenommen, die zumeist unzureichend dokumentiert und in ihren Konsequenzen und Abhängigkeiten kaum kontrollierbar sind. So wurden im Laufe der Zeit die E-Commerce-Umgebungen immer komplexer und schwerfälliger. Sie genügen heutigen Anforderungen nicht mehr, System-Pflege und -Updates sind kaum möglich. Mehr noch: Die veralteten Systeme belasten die Marketing- und IT-Teams. Die Mehrarbeit, die sie verursachen, sprengen Budgets, die an anderer Stelle für Innovationen und Kundenorientierung gebraucht werden.“
Ein Drittel (34 Prozent) der befragten Unternehmen muss im Content Management mit einer heterogenen, gewachsenen Systemlandschaft zurechtkommen. 44 Prozent gaben an, dass sie verschiedene Plattformen für unterschiedliche Anforderungen im Content Management einsetzen. Nur 22 Prozent verfügen über ein Content Management, das die zugehörigen Prozesse über eine zentrale Plattform steuert. Gerade mit dem Content Management steht und fällt die Wirtschaftlichkeit im E-Commerce-Betrieb sowie die Fähigkeit, schnell und flexibel zu arbeiten, denn im E-Commerce geht es um Unmengen von Bildern und Textbausteinen in unterschiedlichsten Versionen und Varianten für die zeitlich versetzte Nutzung sowohl im Webshop als auch für Online-Marketing und Mailings.
„Hier ist ein plattformgestütztes, zentrales Management mit intelligenter Automatisierung das entscheidende Werkzeug, um Kosten und Zeit im E-Commerce im Griff zu behalten – allein, wenn man die komplexen Erstellungs- und Freigabeprozesse bedenkt.“ Bedenklich: Knapp ein Drittel der Befragten benötigt bis zu vier Wochen, bis eine Kollektion online im Webshop verfügbar ist, 45 Prozent liegen bei einem Zeitraum von über einer Woche. Dies zeigt, dass in der Content-Erstellung noch erhebliche Optimierungspotenziale brachliegen.
Die Basics müssen laufen, bevor Virtual Fitting überhaupt interessant wird
Mit Blick auf die Unzulänglichkeiten, die sich IT-seitig beim E-Commerce offenbarten, ist es „auch nicht überraschend, dass die große Mehrheit der Befragten (70 Prozent) ihre Kundenansprache im Omnichannel Commerce kaum vernetzt hat, da dies technisch und organisatorisch nicht so einfach zu realisieren ist. Nur knapp 9 Prozent sagen von sich, im Omnichannel Commerce sehr eng vernetzt zu sein, mit zentraler Steuerung und einem durchgängigen Blick auf Kunden über alle Kanäle.“
Innovative Technologien im E-Commerce wie Virtual Fitting, Augmented Reality, Artificial Intelligence oder Gamification müssen warten, obwohl nach Auffassung der Studienmacher diese Anwendungen helfen würden, um typische Herausforderungen im E-Commerce wie hohe Retourenquoten, Kundenbindung und Personalisierung wirkungsvoll zu lösen. Denn zunächst konzentriert sich die Optimierung immer noch auf die Grundlagen im E-Commerce: Quasi alle (81 der 82 Umfrageteilnehmer) votierten für die Entlastung von Routinen beziehungsweise für Abläufe, die den Betrieb und die Bewirtschaftung des Webshops automatisieren. Derart befreit, gaben ebenfalls 81 von 82 an, dass sie die Inszenierung der Produkte aufwendiger und individueller gestalten würden. Nur auf Platz drei (29 Prozent) kam der Wunsch, die bereits genannten Innovationen wie etwa Virtual Fitting und Gamification zu testen und in den Webshop einzubinden. Mit Basics aber lässt sich eine wirksame Differenzierung vom heute oft austauschbaren Einerlei der Mode-Webshops kaum realisieren. Allerdings kosten diese Dinge viel Geld und auch ein Online-Shop sollte seine Investitionen wieder hereinspielen.
Markenentwicklung hat Priorität, Kernproblem ist mangelnde IT-Systemintegration.
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