Wallis Bird – Woman

Gehört – gekauft

So viel Liebe und Lust am Leben, dass unmittelbar Ansteckungsgefahr droht. Wallis Bird ©Jens Oellermann

Autor: Christoph Anders

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Angekommen! Bei aller Wut, Wucht und Wonne ihres 2019er-Vollwerks versprüht die weltbeste Wallis in den elf Song-Kunstwerken eine derartige Liebe und Lust am Leben, dass unmittelbar Ansteckungsgefahr droht. Dabei funkelt diese lückenlose Perlenkette von Ohrwürmern einer besseren, von Kreativität, Gefühl und der Nähe zum Nächsten geprägten Welt vor solch gewachsener Reife, dass es selbst den langjährigen Bird-Begleiter beeindruckt, ja überwältigt. Gelingt es der im Zentrum des ebenso von durchweg spürbarer Erfahrung wie erdverbundener Natürlichkeit befeuerten Kreativ-Sturms agierenden Artistin doch, ihre Melodien und Harmonien selbst in aufwendigst arrangierten Song-Architekturen mit solch tiefem, echtem Gefühl auszustatten, dass man spätestens beim zweiten Aufeinandertreffen den unwiderstehlichen Drang zum Mitsummen verspürt (der Hang zum Mitbewegen, -wiegen und -tanzen tritt schon beim ersten Kennenlernen auf). Wie es die geniale Gestalterin dieser mal mitreißend pulsierenden, mal aufbauend treibenden, mal schmeichelnd besänftigenden Wohlklangwelten schafft, berückende Kunstfertigkeit mit betörender Emotion in weltenverbindenen Einklang zu bringen, bleibt mir ein Rätsel, aber mit den wunderreichen Weisen ihrer spürbar in zwei vollen Jahren gewachsenen, von der Meisterin selbst multiinstrumental und vielvokal akribisch-artistisch gestalteten Großtat eint Wallis unvereinbar Scheinendes. Auch wenn einige Weggefährten wie Marcus Wüst, David Mette und Aidan ihre bewährten Beiträge zur funkensprühenden Ästhetik dieses Klang-Kaleidoskops leisten, so ist es die durch geniale Gitarren, beeindruckendes Bassspiel, Keyboards, Schlagwerk, Tin Whistle, Autoharp, Ukulele und vor allem himmlische drei- und mehrlagige Vokal-Wolken omnipräsente Protagonistin, die ihre ganze Persönlichkeit einfließen, bewegen und fühlen lässt. Große Wahrheiten gelassen aussingend, Zorn und Zartheit, Wut und Wärme verbindend, zeigt sie sich dabei von einer gesanglichen Größe, die bereits im ersten Song euphorisch elektrisierend die ungeheuren stimmlichen Weiten des folgenden Werks auslotet, um eine ungebrochen energische, aber ebenso berührend wie beindruckend erwachsene Sängerin zu präsentieren, die auch und gerade in den ästhetisch formvollendeten Vokalpassagen ganz und gar Musikerin ist. Auch stilistische Gräben einend, verbindet Wallis Elemente aus Folk und Pop, Rock und Funk, Jazz und Gospel, Soul und Weltmusik zu einem anregend ansteckenden Gefühls-Gesamtkunstwerk, dessen meisterlich naturnahe Melodien vom ersten Moment an Hirn, Herz und Seele gefangen nehmen. Woman liefert den aufwühlenden, abgeklärten, ergreifenden Beleg: Wallis ist ganz bei sich – und bei uns – angekommen.

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Beth Hart – War In My Mind

Merkwürdigerweise scheint mir mein erstes Zusammentreffen mit dieser Ausnahmestimme nur wenige Jahre zurückzuliegen und dennoch stapeln sich inzwischen knapp 20 Tonträger, Studioalben und Live-Aufnahmen in verschiedensten Formaten in meiner heimischen Plattensammlung (der wahre Die-Hard-Hart-Fan nennt, dank der üblichen Veröffentlichungs-Materialschlacht des PROVOGUE-Labels, mittlerweile mindestens 50 Schallplatten und CDs sein Eigen). Die anfänglich erklärbärwärts notwendigen Verweise (von Janis Joplin bis Led Zeppelin) sind – entwicklungsbedingt, Beth’s wie meiner – in ihrer schlichten Schubladenhaftigkeit überholt, auch die anfangs so offensichtlich scheinende Blues-Rock-Einsortierung entbehrt längst der einstigen Eindeutigkeit, zu weit, zu eigensinnig ist die Frau mit der bewegten Geschichte und der einzigartigen Stimme in den Jahren ihrer aktiven Alben- und Bühnengeschichte gewachsen, als mitreißende Sängerin, als packende Pianistin, als erfahren-erwachsene Verfasserin bleibender Songs.

Die schneidend-betörende Beth spielt all ihre Talente gnadenlos aus. ©Mascot

Diese Dreieinigkeit steht auch im Fokus des 2019er-Vollwerks und die schneidend-betörende Beth spielt all ihre Talente gnadenlos aus, berührt und bewegt, verführt und verhext mit Stimme, Spiel und Songwriting, beeindruckt mit Melodien und Weisen von ergreifender Größe, die atemlos staunen lässt.

Dabei darf man sich von der mitreißenden Aufbau-Wirkung des eingängigen Album-Anfangs nicht aufs Gute-Laune-Glatteis führen lassen – die grandios gelungenen, mitunter herzhaft popaffinen Mid-und-Mehr-Tempo-Tanzeinladungen sind in diesem mal deftigen, mal delikaten Dutzend eher in der Minderheit, kostet die vor selten nur unterschwelliger Energie berstende Stimme hier doch vor allem die unendlichen Seelentiefen des Balladen-Ozeans aus.

Mal in voller Bandbegleitung ganz dem großen Drama ergeben, mal gospelgesegnet das waidwunde Herz wärmend, mal in verletzlicher Piano-Einsamkeit unter die Haut kriechend, zeigt sich Beth als magische Meisterin der vielen Gesichter der Ballade zwischen Blues, Jazz, Rock und Soul, betört dabei Sara-Bareilles-Bewunderer und Vanessa-Carlton-Kenner ebenso, wie sie ihre eigenen Jünger nachhaltig begeistert, und erschafft ein lang nachwirkendes, wertvolles Song-Album, das bleiben wird. Das limitierte Vinyl ist in lichtem Blau gehalten, die noch limitiertere CD-Hardbox bietet zwei Bonustracks, zwei Untersetzer, zwei Postkarten und zwei Sticker.

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Flying Colors – Third Degree

Wer, wie ich, sich ein besonders überraschendes Progressive-Vergnügen gönnen möchte, sollte dieses Zeiten und Räume durchschreitende, in herrlich inspirierten Instrumental-Passagen ausufernde, mit einem Sänger der guten, alten Hardrock-Schule gesegnete Neun-Epen-Werk ohne weitere verbale Vorbildung genießen und ab hier das Lesen einstellen. Kam ich erschreckend kenntnisarmer Flying-Colors-Laie doch beim uninformierten Ersthören dieses opulenten Groß- und Band-Drittwerks aus dem Staunen kaum heraus, derart versiert erschienen mir vor allem die instrumentalen Sturz-, Rund-, Höhen- und Transatlantic-Flüge, dass ich einem Auftauchen aus dem namenlosen Nichts schlicht keinen Glauben schenken mochte. Mit spielerischer Meisterschaft in sämtlichen, vor allem elektrischen Belangen beeindruckend, auf Gitarre, Bass, Schlagwerk und Keyboard/Orgel gleichermaßen packend, mitreißend und inspiriert inspirierend, werden hier Brücken quer durch Jahrzehnte des progressiven Rock geschlagen, reich an Rhythmus-Brüchen, Tempi-Wechseln und Dynamik-Sprüngen wahre Paläste des stilreichen Art-Hardrock errichtet und gleichzeitig die Grenzen in zum Teil unerwartetes Neuland überschritten.

Instrumentale Sturz-, Rund-, Höhen- und Transatlantic-Flüge ©Karina Wells

Dennoch sind es die vielen alten, geliebten Größen, durch deren Auftauchen vor dem inneren Ohr hier das Herz des Prog-Hörers erreicht und geöffnet wird, die Nähen zur violinenverfeinerten Kansas-Welt, den Mittelalter-Verweisen von Jethro Tull, die von singend-sägenden Gitarren machtvoll gestalteten epochalen Epen eines Steve Hackett, die artifiziell-eingängige Kunst der mittleren Yes-Phase, die bassgroovelastige Wucht von Pothead, perkussiv-peitschende IQ-Passagen, gloriose Twin-Lead-Gitarren-Gipfel, Jon-Lord-ehrenwerte Orgel-Ausflüge, mal Keith-Emerson-, mal Rick-Wakeman-nahe Keyboard-Soli und sogar Funk-Bass-Exkursionen füllen ein Werk von begnadeten Instrumentalhandwerkern, die ihr Können bei aller Kunstfertigkeit nie zum Selbstzweck ausarten lassen. Und während Sänger und Songwriter Casey McPherson (Alpha Rev, The Sea Within) in mal sanften Melodielinien, mal himmlisch-hymnischen Refrains die berührende Mitte zwischen Rea Garvey, Matthew Bellamy und David Coverdale trifft, zelebrieren vier weitere Größen der (progressiven) Rockwelt hier eine wahre Meisterleistung der Art-Rock-Architektur: Steve Morse (Deep Purple, Dixie Dregs, Kansas), Mike Portnoy (Dream Theater, Transatlantic), Neal Morse (Transatlantic, Spock’s Beard) und Dave LaRue (Dixie Dregs, Joe Satriani) vervollständigen ein kreatives Künstler- und Könner-Quintett, das in bis zu zehnminütigen Epen mühelos die Brücke von Kansas und Genesis über IQ und Flower Kings bis hin zu Muse schlägt, Jethro Tull, Deep Purple und Roger Glovers Butterfly Ball mitunter mehr als nur streift und dennoch ein völlig einzigartiges Prog-Rock-Opus erschafft, das rundum reine Freude bereitet. 66 Minuten perfektester Prog-Pracht.

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