Tasten statt Füße

Verbraucher-Studie

Vor allem die älteren Semester setzen sich für eine nachhaltige Wertschöpfung ein und danach auch handeln. ©pixabay

Autor: Markus Oess
Mode kann viel und nichts zugleich bedeuten. Zu gern würde sich die Branche in der Liste, was die Deutschen bewegt, weit oben sehen. Klar, wichtig sein verheißt Umsatz. Wo genau das Thema in der Konsumskala angesiedelt ist und vor allem, wo und was gekauft wird, hängt von vielen Dingen ab. Klar ist: Online und Vertikale zählen nicht erst seit Corona zu den Gewinnern. Dennoch überrascht die Beliebtheit des stationären Angebotes bei den Deutschen. GermanFashion-Präsident Gerd Oliver Seidensticker über die teils überraschenden Ergebnisse einer Studie seines Verbandes.

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Die Verbraucherbefragung im Auftrage des Verbandes GermanFashion über die Konsumentenpräferenzen vor und nach Corona hat zum Teil Bekanntes ergeben, zum Teil aber haben die Antworten überrascht. Vor allem wohl die Aussage, wonach der stationäre Fachhandel beliebter als Einkaufs- und Informationsquelle ist, als angesichts des durch die Pandemie noch verstärkten Online-Booms vermutet. Zudem ist die Nachhaltigkeit bei den Konsumenten vergleichsweise unwichtig und hat, wenn auch nur im geringen Umfang, in der Corona-Krise sogar an Bedeutung verloren. Dabei sind es vor allem die älteren Semester, die sich für eine nachhaltige Wertschöpfung einsetzen und danach auch handeln. Modisch scheint die Casualisierung ihren Höhepunkt überschritten zu haben, es wird einerseits wieder eleganter, andererseits bleibt Funktionalität ein Thema. Die Befragung führte die Innofact AG durch, für die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse engagierte der Verband Prof. Dr. Christian Duncker von der International School of Management (ISM). Abgefragt wurden neben modischen Aspekten insbesondere Kaufkriterien sowie bevorzugte Einkaufs- und Informationsquellen. Die Erhebung fand in den Kalenderwochen 11 und 36 statt. (Zu den Ergebnissen siehe Slider am Textende)

Wird jetzt alles gut für die stationären Händler und steht es mit den Erfolgsaussichten doch besser als vermutet? Mitnichten. Denn die Studie bestätigt auch: Online und Vertikale führen nach Punkten, sie haben Systemvorteile. Gerd Oliver Seidensticker, Geschäftsführer des gleichnamigen Hemden- und Blusenspezialisten und Präsident von GermanFashion, über Vermutungen, Versuchungen und die Verbraucher.

„Grundsätzlich besteht bei einem Großteil der Menschen sicherlich die Hoffnung auf Normalität.“ Gerd-Oliver Seidensticker ©SEIDENSTICKER

FT: Herr Seidensticker, Multichanneling wird viel bemüht, aber kommt es nicht zuerst darauf an, seine Sache gut zu machen, egal in welchem Vertriebskanal man unterwegs ist?
Gerd Oliver Seidensticker:
„Das stimmt, unsere Partner und Kunden erwarten in jedem Kanal eine gleichermaßen gute Performance für ein ideales Einkaufserlebnis. Das bedeutet beispielsweise im stationären Handel eine schnelle und breite Verfügbarkeit unserer Produkte, im Digitalbereich darüber hinaus eine sinnvolle und nutzerfreundliche Navigation von Website und Online-Shop – unabhängig vom Endgerät. Ganz wichtig ist aber, dass die Marke auch attraktiv ist, da nutzt sonst der beste Absatzkanal nichts.“

Der stationäre Fachhandel und auch die Monomarkenstores kommen besser in der Umfrage weg, als gemeinhin gedacht. Liegt das nun an der Fehleinschätzung der Öffentlichkeit und der Branche oder sprechen tatsächlich auch die betriebswirtschaftlichen Kennziffern eine andere Sprache?
„Die Entwicklung unserer eigenen Stores spricht leider eine deutlich andere Sprache, daher zu Ihrer Frage ein klares ‚Nein‘.“ 

Wie sieht das bei Ihnen im Unternehmen aus, Sie machen Private Label und Marke. Letztere dann über Wholesale, Online und eigene Stores. Wer entwickelt sich am besten aktuell und woran liegt das?
„Wenig überraschend und dem allgemeinen Trend folgend, entwickeln sich unser Online-Shop sowie die Umsätze bei unseren großen Online-Retailern ausgesprochen erfreulich. Im Private-Label-Geschäft partizipieren wir überdurchschnittlich stark von unseren vier eigenen Betrieben und der damit sehr performanten Supply Chain, unserer international und breit aufgestellten Kundenstruktur und den vielen zusätzlichen Services wie Design, Finanzierung oder Import, die wir zusätzlich bieten.“

Was macht einen guten Laden, was einen guten Online-Shop aus?
„Eine klar erkennbare Marken-ID und deren visuelle Ästhetik sind für beide Kanäle wesentlich. Darüber hinaus kommt es generell auf eine große Sortimentsbreite und -tiefe an. Im stationären Handel sind für den Kunden Beratungsqualität und Fachkompetenz des Händlers beziehungsweise Personals maßgeblich.
Mit Blick auf den Online-Shop ist die ‚User Experience‘ sicherlich eines der differenzierenden Merkmale zur Kundengewinnung und -bindung. Auch CSR-Themen und die transparente Darstellung der Warenherkunft werden zunehmend wichtiger. Hier unternehmen wir bereits mit Erfolg seit Langem erhebliche Anstrengungen und Investitionen.“

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Was bedeuten nun die Studienergebnisse für Ihre Vertriebspolitik gegenüber Endverbraucher und Wholesale respektive stationärem Handel? Leiten sich daraus auch neue Handlungsempfehlungen ab?
„Maßgebliche Auswirkungen auf unsere Distributionspolitik haben diese Ergebnisse nicht. Dass unterschiedliche Anspruchsgruppen individuelle Konzepte und Angebote erfordern, war auch vor diesen Ergebnissen der Fall.“

Offenbar wünschen sich viele Konsumenten immer noch die Beratung vor Ort. Sie informieren sich – zumindest können wir das annehmen – modisch doch nicht so intensiv im Internet wie gedacht oder widmen anderen Dingen wie Autos oder Sport et cetera einfach mehr Aufmerksamkeit. Nehmen wir die Mode vielleicht auch zu wichtig und die Kunden kaufen situativ nach Gefühl und Bedarf, zumal das Einkaufserlebnis doch nicht so hoch gehängt wird wie erhofft?
„Die zurückliegenden Monate haben uns alle unfreiwillig in vielerlei Hinsicht Verzicht gelehrt. Prioritäten haben sich verschoben und andere Themen sind vermehrt in den Vordergrund gerückt. Der bereits zuvor erkennbare Trend zur Casualisierung hat durch coronabedingtes Homeoffice nochmals an Bedeutung gewonnen, das Wegfallen formaler Anlässe und Festlichkeiten hat das Übrige dazu beigetragen. Kollektionsseitig haben wir darauf entsprechend reagiert, den Anteil an Casual-Modellen erhöht sowie Strick/Wirk-Ware ergänzt.“ 

Ist die Innenstadt nun tot oder zumindest so krank, dass intensivmedizinisch gehandelt werden muss, jetzt, da wir einen Lockdown light haben und nicht wissen, wie wir durch den Winter kommen und ob weitere Eingriffe beschlossen werden?
„Die Lage war schon seit Längerem angespannt und ist nun vielerorts dramatisch. Wir sehen in den vergangenen Monaten eine deutlich gesunkene Frequenz in den (ehemaligen) 1a-Lagen. Dahingegen wird in regionalen Zentren beziehungsweise bei Fachhändlern in kleineren Städten oftmals nach wie vor gut gekauft.“

Andererseits haben wir gesehen, dass die Menschen gern in die Innenstadt gehen und shoppen. Sollte es nicht Mut machen, dass das Geschäft wieder anziehen wird, wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen?
„Grundsätzlich besteht bei einem Großteil der Menschen sicherlich die Hoffnung auf Normalität. Der Wunsch auf Erfüllung bereits genannter Kriterien wie einer breiten Sortimentsauswahl und Beratungskompetenz wird aber auch nach der Pandemie bestehen und muss gelöst werden.“

Gehört es dann aber nicht auch zur Wahrheit, dass es an den Verbrauchern liegt, wen oder was sie noch in ihren Einkaufsstraßen antreffen?
„Dass zunehmender Online-Handel bei stagnierendem Gesamtmarktvolumen notgedrungen zulasten der zumeist innerstädtischen Händler geht, ist unbestritten. Die Kundin/Der Kunde stimmt quasi mit der Tastatur nicht nur über ihre/seine individuellen Präferenzen, sondern letztendlich auch über Aussehen und Struktur unserer Städte ab.“