Über den AHA-Effekt in der Mode

Lifestyle

Perfektes Outfit in Zeiten von Corona: van Laack fertigt Alltagsmasken aus klassischen Herrenhemdenstoffen, die man perfekt zum passenden Hemd kombinieren kann. ©van Laack
Autorin: Katja Vaders

Es ist Herbst, die Infektionszahlen steigen und wir befinden uns mitten in der zweiten Corona-Welle. Die konsequente Umsetzung der sogenannten AHA-Regeln ist daher wichtiger denn je. Was diese mit Mode zu tun haben und wie das Virus vielleicht sogar die Männermode revolutionieren könnte, darüber sprach FT mit Carl Tillessen, Teilhaber und Chefanalyst beim Deutschen Mode Institut.

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Carl Tillessen, Teilhaber und Chefanalyst beim Deutschen Mode Institut: „Die Männermode wird nie wieder so sein wie vor der Corona-Krise, insbesondere im Businessbereich.“ ©Martin Mai

FT: Herr Tillessen, das zweite „A“ bei den AHA-Regeln steht für die sogenannten Alltagsmasken. Diese sind wohl oder übel zum wichtigsten Accessoire des Jahres 2020 geworden. Wie integriert man sie am besten in einen Look?
Carl Tillessen: „Man kann definitiv sagen, dass die Mode sehr stark von dieser Schutzmaßnahme beeinflusst wird. Schon im Sommer gab es Trends, was man mit so einer Maske macht, wenn man sie nicht im Gesicht trägt – sie zum Beispiel über den Arm zieht. Im Winter ist das natürlich komplexer. Es gibt einige neue Accessoires wie die Maskenketten. Und auch die Maske selbst wird immer mehr zum modischen Statement. Viele haben eine richtige Sammlung, die sie bewusst zu ihrem Outfit stylen.

Ich habe den Eindruck, dass sich durch das Tragen der Maske der Fokus des Blickes verschiebt. Das verleiht dann beispielsweise dem enormen Sneaker-Hype einen zusätzlichen Schub. Normalerweise schaut man als Erstes auf das Gesicht, den Kragen und das Oberteil. Mit Maske muss man jetzt Botschaften über die Schuhe aussenden und mehr Statements an anderen Stellen des Körpers abgeben.“

Wie sieht es mit dem „H“ für Hygiene aus – wie schlägt sich diese Anti-Corona-Maßnahme in Trends nieder?
„Im Sportswear-Bereich verstärkt das ,H‘ einen utilitaristischen Trend zu Workwear und Freizeittextilien, die stark an Schutzkleidung erinnern. Dazu kommen Springerstiefel etwa von Dr. Martens. Das Thema ,Protection‘ ist der modische Ausdruck eines gesteigerten Hygienebewusstseins, das eine unsichtbare Bedrohung durch ein Virus verinnerlicht. Es spiegelt die Erkenntnis wider, in einer feindlichen Welt zu leben, in der man sich durch Bekleidung schützen kann.“

Können Sie auch neue Funktionalitäten aufgrund von Corona beobachten?
„Meiner Ansicht nach sind Handschuhe das Accessoire der Stunde. Ich beobachte, dass in diesem Herbst schon sehr früh begonnen wurde, welche zu tragen. Sie haben eine doppelte Funktion: Handschuhe schützen vor Kälte und dem Virus. In den letzten Jahren wurden Handschuhe vernachlässigt, galten als uncool. Jetzt erfahren sie eine Renaissance, allerdings die Handschuhe, die man eigentlich beim Sport im Winter trägt, zum Beispiel zum Fahrradfahren. Auch hier ist der Trend wieder utilitaristisch, technisch und der Workwear entlehnt.

Eine interessante Idee finde ich eine Jeansjacke von H&M, die Sensoren hat, welche eine menschliche Berührung simulieren. Hier geht es natürlich nicht darum, diese Jacke massenhaft zu verkaufen, sondern man möchte ein Statement zur Situation abgeben.

Gerade in der Männerkleidung geht es grundsätzlich um den Schweizer-Armeemesser-Effekt: Männer lieben es, ein Taschenmesser mit 30 Werkzeugen zu besitzen, von denen man aber nur fünf nutzt. Das Gleiche gilt für Wendejacken, die man lediglich von einer Seite trägt …

Funktionalität ist wichtig, auch wenn man sie nicht wirklich braucht. Daher mögen viele Männer den Heavy-Duty-Look und fahren gern mit dem Geländewagen in die Innenstadt.“

„Bekleidung muss nicht mehr schön, sondern fotogen sein“

Grundsätzlich fällt mir auf, dass man im Straßenbild viele Männer sieht, die Alternativen zu einer Maske tragen, wie zum Beispiel Schlauchschals. Warum ist das so?
„Ich denke, dass das Tragen von Schlauchschals als Alternative zur Maske spezifisch männlich ist. Das hat mehrere Aspekte. Frauen tragen keine Schlauchschals, weil sie Angst haben, ihre Frisur zu ruinieren – diesbezüglich haben die meisten Männer weniger Bedenken. Außerdem symbolisiert das Tragen des Schlauchschals zwar keine direkte Maskenverweigerung, aber eine Form des Widerstands: Einige Männer sind einfach zu cool, um in den Laden zu gehen und sich eine Maske zu kaufen.“

Welche spezifisch männlichen Arten der Alltagsmaske gibt es noch?
„Ich fand die Idee von ARMEDANGELS sehr spannend, Masken zu kreieren, die auf einer anderen Ebene die Mimik ersetzen. Da man ein Lächeln nicht mehr sehen kann, werden diese Masken mit positiven Botschaften bedruckt wie ,I warmly smile under this mask‘ oder ,I wear this mask for you‘. Das Ganze ist zudem in einer eher männlichen Ästhetik umgesetzt, beispielsweise schwarz mit weißer Schrift. Dementsprechend sehe ich diese Masken oft bei Männern.“

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Und dann gibt es natürlich die gebrandeten Masken, unter anderem von großen Sportswear-Marken wie Nike oder adidas. Wird es sich vielleicht etablieren, die Maske passend zum Sneaker auszuwählen?
„Ja, ich denke schon. Und auch hier gibt es diesen technischen Aspekt, was Look und Material angeht, der von Sportmarken angeboten wird und bei den Männern sehr beliebt ist: futuristisch, technisch, im Lasercut mit offenen Kanten. Das wirkt sehr modern.

Eine ähnliche Idee kommt von van Laack, die Masken aus klassischen Herrenhemdenstoffen fertigen. Das ist dann eher die elegante Variante im Business-Look und auch die ist spezifisch männlich. Die Masken transportieren die Knackigkeit und Frische, die ein Herrenoberhemd haben muss, und man hat die gleiche Marke und das gleiche Material wie bei seinem Business-Hemd. van Laack hat es damit geschafft, ein Markenprodukt zu platzieren, das ein Statussymbol für sich geworden ist.“

Zu guter Letzt sind da noch die eher alternativen Männer, die mit einer Zombiemaske durch die Gegend laufen …
„… da schlägt dann wohl das Archaische und Animalische durch, eine Art Droh- und Imponiergehabe über die Maske.“

Wir haben darüber gesprochen, wie sich Corona momentan auf Trends auswirkt. Wie wird sich das Ganze mittelfristig abbilden?
„Die Männermode ist viel stärker beeinflusst von Corona als die Frauenmode. Dass die Menschen jetzt verstärkt im Homeoffice sitzen, hat den klassischen Business-Dresscode nachhaltig infrage gestellt. Das wird auch so bleiben. Wer von zu Hause aus arbeitet, braucht den klassischen Herrenausstatter-Look mit Anzug, Krawatte und Hemd nicht mehr. Man begegnet sich im Homeoffice am Bildschirm und stellt fest: Der Chef ist immer noch der Chef, auch wenn alle ein Sweatshirt tragen. Eine Erfahrung, die sich nicht mehr zurückdrehen lassen wird. Auch weil viele nicht ins Büro zurückkehren, weil sich das Homeoffice nachhaltig etablieren wird.

Dazu kommt, dass die Digitalen die Gewinner der Krise sind. Insofern wird der Dresscode des Silicon Valley als Gewinnerlook wahrgenommen. Erfolgreiche Männer wollen jetzt eher den New-Economy-Dresscode tragen und aussehen wie der Gründer eines Start-ups und nicht mehr wie ein Wall Street Broker. Das verstärkt den Bruch in den Dresscodes der Männer und kommt einer Revolution gleich: Die Männermode wird nie wieder so sein wie vor der Corona-Krise, insbesondere im Business-Bereich.“

Macht das Homeoffice die Sportswearhersteller zu den Gewinnern der Branche?
„Das sind sie schon jetzt. Der Markt öffnet sich gerade für bequeme, aber wertige Kleidung. Denn der Wunsch nach Distinktion ist ja nicht kleiner geworden, nur weil man sich etwas legerer und bequemer anzieht. Der Trend geht zum edlen Strickpolo, zum Sweatshirt mit dem richtigen Markenlogo, zu Luxus-Sneakern … Diese Teile werden wichtig werden, während der Handstich am Sakkorevers an Bedeutung verliert. Der Geschäftsführer wird also auch jenseits der Krise Sweatshirt tragen, wenn auch nicht das gleiche wie sein Praktikant. Hier erschließt sich ein neuer Markt: Sportswear, Polohemden und alles, was aus Jersey ist, müssen edel, clean und hochwertig verarbeitet sein. Und Gewebtes wird immer mehr abgelöst von Gestricktem.“

Lassen Sie uns abschließend noch auf das erste „A“ kommen: Ist man auch modisch gerade mehr auf Abstand?
„Kleidung verändert sich, weil wir sie immer seltener live erleben, sondern am Bildschirm. Durch den vermehrten Trend zum Online Shopping wählen wir sie auf Grundlage von digitalen Bildern aus. Und dann tragen und zeigen wir sie wiederum über digitale Bilder wie auf Selfies oder bei Videokonferenzen. Bekleidung muss nicht mehr schön, sondern fotogen sein. Das ist nicht immer dasselbe und zeigt ganz gut, wie drastisch sich unsere Bedürfnisse und damit auch die Mode geändert hat.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Carl Tillessen ist studierter Betriebswirt und Kunsthistoriker. 1997 gründete er das Berliner Modelabel FIRMA. Als Kreativdirektor und Geschäftsführer entwickelte er nicht nur 17 Jahre lang die Kollektion, die weltweit vertrieben wurde und zahlreiche Preise gewann, sondern auch sechs eigene Läden, einen Online Shop und eine Kosmetiklinie. Heute ist Tillessen Teilhaber und Chefanalyst beim Deutschen Mode Institut und berät renommierte Firmen aus der Branche.