The Big Deal

Bio-Faser

Die Bio-Faser lässt sich ohne Qualitätsverluste zu 100 Prozent recyceln und sie ist in 30 Tagen restlos abgebaut. Das Ziel von Carlo Centonze, Mitgründer von HeiQ, ist, künstliche Fasern komplett zu ersetzen. alle Bilder ©HeiQ

Autor: Markus Oess
Der Metzinger Konzern HUGO BOSS investiert 5 Millionen US-Dollar in die HeiQ AeoniQ LLC sowie weitere 4 Millionen US-Dollar auf der Grundlage von Vereinbarungen über Leistungsmeilensteine. Gleichzeitig steigt The LYCRA Company als exklusive Vertriebspartnerin für HeiQ-AeoniQ-Garn ein, indem sie eine erhebliche, nicht näher bezeichnete Investition tätigt. HeiQ ist in der Lage, aus Zellulose eine qualitativ zu Polyester oder Nylon gleichwertige Bio-Faser herzustellen, die im Verhältnis 1 zu 5 dekarbonisierend wirkt. Jede Tonne HeiQ-AeoniQ-Garn, die Polyester ersetzt, bindet in diesem Sinne 5 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Die Bio-Faser lässt sich ohne Qualitätsverluste zu 100 Prozent recyceln und sie ist in 30 Tagen restlos abgebaut. Das Ziel von Carlo Centonze, Mitgründer von HeiQ, ist, künstliche Fasern komplett zu ersetzen. Dazu bedürfte es nach seinen Angaben Investitionen der Branche in Höhe von 750 Milliarden Euro und es müssten alle mitziehen. Ein Zeithorizont von zehn Jahren wäre sehr sportlich, aber machbar, sagt Carlo im FT-Interview. Nun sucht er weitere strategische Investoren.

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Unser Plan ist, in der gesamten Branche 20 Meinungs- und Innovationsführer zu gewinnen, um schnell und effizient in unserem Ansinnen voranzukommen, das AeoniQ-Zellulosegarn als textilen Standard zu etablieren.“ Carlo Centonze, Co-founder und CEO HeiQ Group ©Michael Buholzer für Bilanz

FT: Carlo, kannst du kurz noch mal dein Unternehmen und das HeiQ-AeoniQ-Garn vorstellen?
Carlo Centonze: „HeiQ steht für High Quality und für IQ, also im übertragenen Sinne Intelligenz. Wir wollen intelligente technologische Antworten für die Herausforderungen der Textilindustrie geben und diese Herausforderungen sind gewaltig. Die Idee zu HeiQ entstand 2005, als mein Geschäftspartner, Dr. Murray Height, und ich mit unseren Lebensgefährtinnen eine mehrtägige Hikingtour durch die Schweizer Berge machten. Wir Jungs marschierten anfangs vorneweg. Natürlich waren wir mit passender Funktionskleidung ausgestattet, doch nach einiger Zeit wurden wir nach hinten beordert. Die körperlichen Anstrengungen hatten mittelbar auch Auswirkungen auf die Geruchssinne … Damals schworen wir uns, auf wissenschaftlicher Basis Abhilfe zu schaffen. Kurze Zeit später war unsere Firma gegründet, die sich mit Textil- und Materialinnovationen auseinandersetzt.

Zurück zur größten Herausforderung der Textilbranche: die Umweltverschmutzung. Die Branche ist mit 1,7 Billionen US-Dollar eine der größten Wirtschaftszweige der Welt und sie ist auch eine der dreckigsten. Wir produzieren jährlich 80 Millionen Tonnen Polyester und Nylon, wovon die Bekleidung allein 50 Millionen Tonnen beisteuert. Nur 1 Prozent davon wird wieder recycelt, der Rest wird verbrannt oder vermodert jahrhundertelang in unserer Umwelt. Das alles erzeugt enorme CO2-Belastungen, vom Mikroplastik, das zusehends unsere Meere verschmutzt und zu einer ernsthaften Bedrohung unsere Klimas geworden ist, ganz zu schweigen. Steuern wir nicht schnell und entschlossen gegen, rückt unserer 2-Grad-Klimaziel in unerreichbare Ferne. AeoniQ ist ein Wortspiel aus dem griechischen ‚Aion‘ für Leben, Zeitalter und IQ für Intelligenz. Wir sind in der Lage, aus Zellulose eine qualitativ mindestens zu Polyester oder Nylon gleichwertige Bio-Faser herzustellen, die im Verhältnis 1 zu 5 dekarbonisierend wirkt. Jede Tonne HeiQ-AeoniQ-Garn, welche Polyester ersetzt, bindet in diesem Sinne 5 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Die Bio-Faser lässt sich ohne Qualitätsverluste zu 100 Prozent recyceln und sie ist in 30 Tagen restlos belastungsfrei abgebaut. Wenn es gelingt, diesen Qualitätssprung in der gesamten Textilbranche zu realisieren, hätten wir tatsächlich Großes erreicht. Dass wir das erreichen können, ist absolut möglich.“

„Um 80 Millionen Tonnen Zellulosefaser jährlich produzieren zu können, ist ein Invest von 750 Milliarden Euro nötig.

Sind die Preise dann vergleichbar mit denen der herkömmlichen Garne?
„Wie bei allen großen Innovationssprüngen hängt vieles von der Skalierung ab. Erreichen wir die nötigen Volumina, sind auch die Preise vergleichbar, ändert sich für die Endverbraucher damit nichts. Wenn es gelingt, dann auch die nötige Infrastruktur aufzubauen, können wir den Stoff komplett recyceln, das hieße, dass sich das bisherige Verhältnis Abfall zu Recycling komplett drehen würde.“

HUGO BOSS beteiligt sich strategisch am Unternehmen. Sind deine Kunden aber nicht eher auf der Vorstufe angesiedelt, also Lieferanten der Marken beziehungsweise Stoffhersteller?
„Du hast recht. Natürlich sind die Garn- und Stoffproduzenten unsere eigentlichen Kunden, aber wie beim Auto ist HUGO BOSS sehr weit, was die vertikale Integration der rückwärtigen Prozesse angeht. Blicken wir auf das Werk: In Izmir fehlt den Metzingern nur noch eine Stufe zur Stoffproduktion. Im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie ‚CLAIM 5‘ ist die strategische Beteiligung an HeiQ das erste nachhaltigkeitsbezogene Investment der Gruppe und natürlich werden da weitere Schritte folgen.“

Unsere Partnerschaft mit HeiQ ist ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg, die weltweit führende technologiegetriebene Premium-Modeplattform zu werden. Daniel Grieder ©HUGO BOSS AG

Werden die Metzinger gegenüber anderen Kunden bevorzugt bedient beziehungsweise beliefert?
Unser Plan ist, in der gesamten Branche 20 Meinungs- und Innovationsführer zu gewinnen, um schnell und effizient in unserem Ansinnen voranzukommen, das AeoniQ-Zellulosegarn als textilen Standard zu etablieren. Das sind als Erstes BOSS, LYCRA als strategischer Vertriebspartner. Das können auch weitere Firmen wie adidas, Nike oder IKEA sein, Firmen, die über ausreichende Größe und Sichtbarkeit verfügen, diese Dinge mit uns gemeinsam ein großes Stück voranzubringen. Die 20 Partner erhalten dann auch als Erste den Zugriff auf die Faser, die wir produzieren. Wir planen den Bau einer kleineren Anlage noch in diesem Mai. Mit ihr wollen wir austesten und die Prozesse weiter optimieren. Wir wollen mit der großvolumigen Produktion 2025 beginnen und investieren dafür die Summe von 300 Millionen US-Dollar. Aber wir wollen unser Know-how auch teilen. Natürlich erwarten wir auch eine Monetarisierung unserer Innovationsleistung in Form einer Lizenzgebühr, aber wichtiger ist, dass diese Technologie baldmöglichst allen zur Verfügung steht. Denn um 80 Millionen Tonnen Zellulosefaser jährlich produzieren zu können, ist ein Invest von 750 Milliarden Euro nötig, das können wir gar nicht alleine stemmen. Um das realisieren zu können, müssen alle an einem Strang ziehen: die Produzenten aller Wertschöpfungsstufen, der Handel, die Medien und auch die Verbraucher.

LYCRA übernimmt den exklusiven Vertrieb, also weltweit?
„LYCRA ist auch Innovator, aber hier ist es vor allem ein Unternehmen, das verstanden hat, um was es geht. LYCRA ist als Vertriebspartner an Bord und übernimmt die Logistik weltweit. Das können wir mit unseren Strukturen nicht leisten. LYCRA ist damit ein weiterer wichtiger Baustein unseres Gesamtkonzeptes, der den gesamten Prozess beschleunigt. Die Non-Profit-Organisation Ellen MacArthur Foundation warnt eindringlich, dass wir im Jahr 2050 mehr Plastikmüll in den Meeren haben als Fische. Die Zeit wird knapp und wenn wir tatsächlich in zehn Jahren Zellulose als Standard implementieren wollen, ist das schon sehr sportlich. Wir müssen Gas geben, denn es warten ja auch andere Aufgaben auf uns. Was Hoffnung macht, ist das schnelle Aus für FCKW, um ein Ausbreiten des Ozonlochs zu verhindern. Das zeigt, wenn alle es wollen, können wir es schaffen.“

Sind weitere Beteiligungen aus der Modeindustrie geplant, wäre INDITEX oder ein Discounter wie ALDI ein möglicher Partner?
„Absolut. Mir ist es lieber, mit diesen Firmen zu sprechen und sie zu überzeugen, als über sie zu klagen. Jede Änderung in die richtige Richtung ist besser als keine Änderung.“

Wann wird es erste Textilien geben, die aus HeiQ-AeoniQ-Garn gefertigt sind?
„Mit unserer Kleinfertigung werden wir so starten können, dass bereits Ende 2023 erste kleinere Kapselkollektionen auf den Markt kommen.“

Darum geht es

Im Rahmen seiner Wachstumsstrategie „CLAIM 5“ beteiligt sich der Metzinger Konzern HUGO BOSS mit 5 Millionen US-Dollar an HeiQ AeoniQ LLC, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft der in London notierten HeiQ Plc. Die Investition wird durch eine zusätzliche Vereinbarung in Höhe von 4 Millionen US-Dollar ergänzt, die der Erreichung der vereinbarten Ziele unterliege, heißt es weiter in einer gemeinsamen Mitteilung. Die strategische Partnerschaft soll HUGO BOSS helfen, die Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens zu erreichen, darunter das Ziel der Klimaneutralität im eigenen Verantwortungsbereich bis 2030 und in der gesamten Wertschöpfungskette bis 2045 sowie die Etablierung eines End-to-End-Kreislaufwirtschaftsmodells. Mittel- bis langfristig konzentriere sich HUGO BOSS auf das Potenzial, die derzeit verwendeten Polyester- und Nylonfasern durch die zellulosehaltigen HeiQ-AeoniQ-Fasern materiell zu ergänzen und zu ersetzen. „Unsere Partnerschaft mit HeiQ zur Entwicklung von HeiQ AeoniQ ist ein weiterer wichtiger Meilenstein auf unserem Weg, die weltweit führende technologiegetriebene Premium-Modeplattform zu werden. Im Einklang mit unserem Leitbild ermöglicht uns diese Zusammenarbeit, Innovation und Nachhaltigkeit im gesamten Angebot unserer Marken weiter voranzutreiben und damit einen messbaren Beitrag für Umwelt und Gesellschaft zu leisten“, sagt Daniel Grieder, CEO von HUGO BOSS.

Auch The LYCRA Company steigt als exklusive Vertriebspartnerin für das HeiQ-AeoniQ-Garn ein. LYCRA zahlt eine meilensteinabhängige Technologiegebühr und verpflichtet sich, ihr Textilwissen und ihren Zugang zu den Marktkanälen zu nutzen, um diese neue Technologie für einen breiten Einsatz in der Bekleidungsindustrie vorzubereiten. „Nachhaltigkeit ist ein Kernpunkt der Strategie von The LYCRA Company. Wir konzentrieren uns auf die Bereitstellung von Technologien mit Mehrwert, die unseren Kunden dabei helfen, außergewöhnliche Stoffe und Kleidungsstücke zu entwickeln, zu produzieren und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern“, sagt Julien Born, CEO von The LYCRA Company.

Der Großteil des eingebrachten Kapitals wird für die Vergrößerung und Kommerzialisierung dieser Technologie verwendet. In diesem Zusammenhang wird die HeiQ AeoniQ LLC ihre erste kommerzielle Giga-Fabrik in Mitteleuropa bis Ende 2024 errichten und baut derzeit ihre Pilotanlage für die kommerzielle Faserproduktion aus, die für das zweite Quartal 2022 geplant ist.

HeiQ-AeoniQ-Garne werden aus zellulosehaltigen Biopolymeren hergestellt, die während des Wachstums Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden. HeiQ-AeoniQ-Garn soll bestehende Filamentgarne auf Erdölbasis ersetzen, wie zum Beispiel umweltschädliches Polyester und Nylon, die über 60 Prozent der weltweiten jährlichen Textilproduktion von 111 Millionen Tonnen ausmachen. Die Produktion von HeiQ-AeoniQ-Garnen ist zirkulär angelegt, verwendet 100 Prozent erneuerbare Energie für die Herstellung und weist einen geschlossenen Recyclingkreislauf von mehr als 99,5 Prozent der Produktionsfaktoren auf.