Reality Check

Kommentar

Andreas Grüter ©Peter Zembol
Autor: Andreas Grüter

Neuer Konsum

Corona, Krieg, Inflation, Klimawandel – die frühen 2020er-Jahre haben es in sich und werden unseren Alltag wohl nachhaltiger verändern, als wir es uns derzeit vorstellen können. Unter anderem gerät das Thema des Individualverkehrs im urbanen Raum dabei mehr und mehr in den Fokus. Wir wagen einen Ausblick.

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„Haben Sie schon gesehen? Herr W. aus dem Haus gegenüber hat jetzt ein E-Bike. Ein ziemlich schickes Teil. Seine Frau erzählte, es habe ein kleines Vermögen gekostet. Ungefähr so viel wie ein gebrauchter Kleinwagen mit mittelviel auf dem Tacho. Aber weil man sich ja sonst nichts gönnt, und schon gar nicht in diesen schwierigen Zeiten, musste das einfach sein, sagt sie. Außerdem habe der Verkehrsverbund die Preise ja gerade wieder erhöht. ,3 Euro für drei Haltestellen-Stopps. Wer kann sich das denn noch erlauben?‘, hat sie mich gefragt. Vom Autofahren wollten wir bei den Spritpreisen dann gar nicht mehr reden. Da ist so ein Zweirad mit versteckter Motorunterstützung schon eine prima Sache, finde ich. Und, wie gesagt, ziemlich chic und fancy.“ So oder so ähnlich tönt es derzeit aus vielen Nachbarschaften der Republik.

Moment mal, Fahrräder mit oder ohne Motorunterstützung als Statussymbole der Deutschen? Habe ich da was verpasst und schicken wir uns wirklich an, unseren holländischen Nachbarn den Rang als europäisches Fahrradland abzulaufen? Sind die Zeiten, da PS-starke Limousinen und Sportschlitten samstagmorgens poliert wurden, um abends mit ihnen um die Häuser der City zu cruisen, nun endgültig vorbei? Hat jetzt die Vernunft die Lust überlistet und das Steuer übernommen?

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Es scheint fast so, doch mit einem Blick auf die Preislisten der Fahrradhersteller bekommt dieser erste Eindruck schnell deutliche Risse. Bike: 4.000 Euro, Helm: 150 Euro – mit einem guten Schloss, dem passenden Messenger Bag und einem stilvoll-funktionalen Bike-Fashion-Outfit beziffert sich der finale Rechnungsbetrag an der Kasse dann schnell auf gute 5.000 Schleifen. Und so, meine Vermutung, sieht man Herrn W. des Wochenendes dann mit stolzgeschwellter Brust sein Rad statt sein Kfz wienern. Manche Dinge ändern sich halt nie. Ob Otto Normalbürger beim neuen Rennen um das Statussymbol auf zwei Pneus mithalten kann, ist indes zu bezweifeln.