„Es ist an der Zeit, wieder loszulegen“

messe frankfurt

©Messe Frankfurt

Autor: Markus Oess
Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies bei der messe frankfurt, ist ungeduldig. Er will machen, statt noch länger zuzuwarten. Im Juni ist es so weit, dann öffnen vier Messen im heimischen Frankfurt ihre Tore: techtextil/texprocess, heimtextil und als Premiere das NEONYT Lab als D2C-Veranstaltung. Schmidt ist sicher, dass es gute Messen werden, weil der Innovationsgrad der Industrie sehr hoch ist und die Branche sich wieder persönlich treffen will. Was mit der NEONYT wird, ist noch offen, aber, so Schmidt, die Messe bleibe in ihrer DNA aber eine B2B-Veranstaltung.

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„Es bleibt den Besuchern natürlich selbst überlassen, wie tief sie in die Materie eintauchen wollen. Aber wer will, kann sich einen breiten, fundierten Überblick verschaffen, was gerade weltweit passiert.” Olaf Schmidt, messe frankfurt

FT: Herr Schmidt, die Freude, wieder physisch starten zu können, ist sicher groß. Gibt es leise Zweifel, ob die Frequenz der techtextil/texprocess so ausfällt wie erhofft?
Olaf Schmidt: Wir sind mit dem Termin vom 21. bis 24. Juni gut aufgestellt. Die Nachfrage nach einer physischen Messe ist unbestritten groß. Wir kommen allein mit techtextil und texprocess auf rund 1.300 Aussteller aus 47 Ländern. Auch die zahlreichen Gemeinschaftsstände und die zwölf internationalen Pavillons sind ein starkes Signal. Wie sich die Besucherzahl gerade aus dem Ausland angesichts der aktuellen weltweiten Lage entwickelt, lässt sich nicht eindeutig vorhersagen. Ich bin mir sicher, wir werden zwei überaus erfolgreiche Messen erleben.“

Sie sprechen von einem ganzheitlichen Marktüberblick. Ganz kurz, was sind Ihre Highlights der Messe?
„Wenn wir die heimtextil, die einmalig in diesem Sommer zeitgleich mit techtextil und texprocess läuft, noch dazurechnen, kommen weitere 800 internationale Aussteller hinzu. Die Kombination aus drei Leitmessen erzeugt natürlich auch neue Synergien. Für die Herstellung eines konfektionierten Produktes benötigen Sie Maschinen. Diese werden auf der texprocess vorgestellt, die zu verarbeitenden Stoffe wiederum gibt es auf der techtextil oder heimtextil. Wir bilden also den größten Teil der Wertschöpfungskette ab. Nachdem die Aussteller drei Jahre keine Chance hatten, ihre Innovationen vorzustellen, ist der Innovationsgrad gerade auf der techtextil extrem hoch. Es geht um Garne, Fasern, funktionale Textilien, textile Technologien und Finishing-Prozesse bis zu Endprodukten für die textile Einrichtung, Performance-Textilien, Funktionsbekleidung und Fashion. Dazu kommt, dass wir über unsere Foren auf den Messen die wichtigsten Themen abarbeiten, seien es Industrie 4.0, Nachhaltigkeit oder das Lieferkettengesetz, wir bieten einen umfassenden Überblick und wir haben für techtextil und texprocess den Innovation Award initiiert. Eine unabhängige internationale Jury wählt unter allen eingereichten Innovationen die besten Ideen aus und die Gewinnerinnen und Gewinner werden im Rahmen einer Sonderschau auf beiden Messen vorgestellt. Wir bieten eine Leistungsschau, zeigen Innovationen und wir bieten endlich wieder Raum fürs Networking.“

Wie werden die Themen Nachhaltigkeit und Recycling eingebunden?
„Nachhaltigkeit ist das Thema der Zukunft und diese Zukunft hat schon lange begonnen. Nachhaltigkeit setzt inzwischen den natürlichen Rahmen der textilen Welt und ihrer Produkte und damit unserer Messen. Auch in den Foren hat das Thema ein besonderes Gewicht.“

Wie wird die neue EU-Textilstrategie abgearbeitet, deren Einzelheiten jetzt bekannt sind?
„Der EURATEX-Generaldirektor Dirk Vantyghem hatte in unserer gemeinsamen Pressekonferenz einen Ausblick auf die Weiterentwicklung der Textilindustrie gegeben. Wir informieren zunächst einmal ausführlich über das Vorhaben und suchen auch den Austausch mit den Textilunternehmen vor Ort. Auf der heimtextil werden wir das Green Village präsentieren, wo wir die Gelegenheit anbieten, sich zu Labels wie dem Grünen Knopf oder OEKO-TEX® zu informieren. Und wir haben unser Texpertise Network als Bindeglied für die Zusammenarbeit der messe frankfurt mit der conscious fashion campaign und dem United Nations Office for Partnerships, um die UN Sustainable Development Goals sichtbar zu machen. Wir sprechen im Juni über diese Ziele und über das Lieferkettengesetz.“

„Die NEONYT bleibt in ihrer DNA aber eine B2B-Veranstaltung.“

Haben Sie keine Befürchtung, dass Besucher den Überblick verlieren könnten? Es laufen ja doch eine Menge Veranstaltungen parallel.
„Nun, es bleibt den Besuchern natürlich selbst überlassen, wie tief sie in die Materie eintauchen wollen. Aber wer will, kann sich einen breiten, fundierten Überblick verschaffen, was gerade weltweit passiert. Wenn Sie zum Beispiel auf der techtextil Anbieter für den Anwendungsbereich der Agrarindustrie besuchen, um sich über Textilien zu informieren, mit denen das Saatgut auf den Feldern geschützt wird, haben Sie neben den Produktinnovationen auch die Gelegenheit, sich die neuesten Verarbeitungstechnologien auf der texprocess in diversen Produktgruppen anzuschauen. Das verlangt natürlich auch eine gewisse Vorbereitung für beide Messen. Inzwischen kommen auch viele Designer, um Ideen und Eindrücke zu sammeln, was Fertigung und Material von Fashion betrifft. Die einzelnen Produktionsschritte greifen immer mehr ineinander. Es ist nur ein Angebot, aber ein sehr gutes … Wir haben außerdem erstmals mit der Digital Extension, die vom 13. Juni bis 8. Juli für Besucherinnen und Besucher verfügbar ist, die Möglichkeit geschaffen, den Messebesuch umfassend vorzubereiten und nachzuarbeiten sowie neue, digitale Touchpoints wie Round Tables, Eins-zu-eins-Videogespräche oder das Streaming von Konferenzen zu nutzen.“

Auf der einen Seite greifen Sie auf das Texpertise Network zu, gleichzeitig verweisen Sie auf die FRANKFURT FASHION WEEK als Gesamtschau. Wie sieht denn die Klammer nun aus, nachdem die Fashion Week nun doch anders abläuft als ursprünglich geplant?
„Die FRANKFURT FASHION WEEK wird von der Stadt Frankfurt organisiert. Wir kümmern uns in erster Linie wieder um unsere eigenen Formate techtextil, texprocess, heimtextil Summer Special und natürlich das NEONYT Lab. Alle Messen greifen thematisch ineinander, etwa wenn im NEONYT Lab Textilien gezeigt werden, deren Materialien beispielsweise auch von Ausstellern der techtextil stammen und sich über Recycling und Funktionalität definieren. Unser Konferenzformat FASHIONSUSTAIN und das NEONYT Lab schaffen eine Verbindung zur FRANKFURT FASHION WEEK in der Stadt.“

Welchen Part übernimmt die NEONYT dabei?
„Wir zeigen zum Beispiel auf der FASHIONSUSTAIN, wie verflochten die Branche ist, welche Abhängigkeiten bestehen. Das NEONYT Lab wiederum wird erstmals als Direct-to-the-Consumer-Veranstaltung laufen. Es wird ein Erlebnis für jeden Geschmack mit FASHIONSUSTAIN-Konferenz, Showcase, Technologien, Materialien, Initiativen, Kampagnen und Forschungsprojekten. Im Sommer ist auch wieder die PREPEEK dabei, ein Content Creator Event, das nachhaltige Mode auf Social Media im Gespräch hält. Neu ist die Fläche für den Direktverkauf von Mode und Beauty-Produkten, die in Kooperation mit der GREENSTYLE umgesetzt wird.“ 

Warum wurde die NEONYT zur D2C-Veranstaltung?
„Die Fair-Fashion Community ist eng verwoben, informiert und will sich austauschen. Das wiederum hat zur Folge, dass Produzenten, Handel und die Verbraucher immer enger zusammenrücken. Dem wollen wir mit dem neuen Format parallel zur FRANKFURT FASHION WEEK gerecht werden.“

Wie sehen die Pläne für den Winter aus?
„Wir sind in engem Austausch mit unseren Kunden und Stakeholdern. Jetzt testen wir das neue Format und werden unsere Erfahrungen und Learnings aus dem Sommer für die Winterausgabe nutzen. Die NEONYT bleibt in ihrer DNA aber eine B2B-Veranstaltung.“

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Bleibt die NEONYT in Frankfurt oder ist auch ein anderer Veranstaltungsort denkbar?
„Auch hier ist alles möglich. Wir halten uns alle Optionen bis hin zu einer Internationalisierung offen. Wie Sie wissen, ist die messe frankfurt ein Global Player mit 58 Textilmessen weltweit.“

Corona hat die gesamte Messelandschaft und den Terminkalender ordentlich durcheinandergewirbelt. Wenn sich der Staub gelegt hat, sehen wir dann eine echte Neuordnung oder kehren wir zur „alten“ Ordnung zurück?
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zu einer Ordnung zurückkehren werden in dem Sinne, dass Messen als physisches Treffen eine zentrale Rolle einnehmen. Ein Ort, wo sich Aussteller präsentieren und Menschen zum Netzwerken zusammenkommen. Der Mensch möchte sich austauschen und das ist der Kern unseres Geschäftes. Natürlich unterscheidet sich die Ausgestaltung der einzelnen Formate, weil sich die Bedürfnisse und Ansprüche ändern, neu ausrichten. Messen sind ja immer auch contentgetrieben. Wir haben techtextil und texprocess jetzt von den ungeraden zu den geraden Jahren verschoben und werden das beibehalten. Die heimtextil wird wieder zu ihrem alten jährlichen Rhythmus in den Januar zurückkehren.“

Welche Faktoren werden Ihrer Meinung nach darüber entscheiden und welche Rolle wird die messe frankfurt dabei spielen?
„Ich kann jetzt nur für die Textilmessen sprechen, also techtexil, texprocess und heimtextil. Alle drei sind internationale Leitmessen mit hoher Strahlkraft. Was zählt, sind auch künftig die Qualität der Inhalte und der Zuspruch der Besucher. Natürlich haben wir den Anspruch, mit diesen Veranstaltungen internationaler Weltmarktführer zu sein. Auch die NEONYT wird fester Bestandteil der Branche bleiben, aber wie gesagt sind wir hier noch in der Weiterentwicklung. Und zusätzlich startet unser internationales Business in der Nach-Corona-Zeit beispielsweise mit Messen in Atlanta, New York, Paris oder New Delhi. Wir bieten der Textil- und Modeindustrie weltweit die richtigen und erfolgreichen Plattformen.“

Im digitalen Spannungsfeld

Wir stehen immer noch im Spannungsfeld des digitalen Umbruches. Wie recht ist Ihnen eigentlich die begleitende Digitalisierung der Messen?
„Vor Corona haben viele über Digitalisierung gesprochen. Dann ist durch die Pandemie plötzlich ein ungeheurer Handlungsdruck entstanden. Klar ist, die digitale Welt kann die reale Messe nicht ersetzen, aber sie kann sie bereichern, zusätzlich mit wichtigem Input aufwerten. Das ist auch das, was ich von unseren Ausstellern so gespiegelt bekomme. Es ist an der Zeit, wieder loszulegen. Und das vermehrt in hybriden Formaten.“

Wie werden die Messeformate der Zukunft aussehen?
„Das ist schwer zu beantworten. Wie gesagt, hat jede Branche ganz eigene Gesetzmäßigkeiten und Ansprüche. Schon vor Corona gab es Diskussionen über Standgrößen und ob sich die Firmen in ihrer gesamten Bandbreite präsentieren oder sich auf Produkte beziehungsweise Kollektionen fokussieren. Es gibt inzwischen auch Aussteller, die komplett auf die Präsentation ihrer Produkte verzichten und nur zum Networken einladen. Hier geht es nur noch um die Kundenbeziehungen selbst. Es bleibt spannend und wir sind im engen Kontakt mit den diversen Branchen.“

Werden die Messen weiterhin global und international ausgerichtet sein oder regional und digital internationalisiert? Schließlich geht es ja auch um die Nachhaltigkeit der Messen selbst.
„In Frankfurt haben wir globale Leitmessen mit einer Beteiligung aus mehr als 130 Ländern. In Atlanta zur techtextil und texprocess im Mai zum Beispiel haben wir zwar viele internationale Aussteller, aber die Besucher kommen in erster Linie aus komplett Amerika. Anders ausgedrückt: Es wird auch in Zukunft eine internationale Leitmesse für den großen Überblick geben, ergänzt um regionale Veranstaltungen, die sich eher auf die jeweiligen Märkte konzentrieren. Genau so haben wir uns als messe frankfurt weltweit aufgestellt.“

Der Gesprächspartner

Olaf Schmidt ist als Vice President Textiles & Textile Technologies verantwortlich für die Textilmessen der Frankfurter. Schmidt arbeitet seit 2006 für die Messe Frankfurt Exhibition GmbH. Der Manager studierte an der Hochschule Niederrhein (Diplom-Textilingenieur) und an der Hochschule Landshut (Master of Business Administration).