Gut Ding

Kommentar

Eva Westhoff ©dot
Autorin: Eva Westhoff

Bei Kleidung stehe ich vor allem auf eines: Qualität. Billige Knöpfe, unsaubere Nähte, Materialien, die schon vor der ersten Wäsche durchblicken lassen, dass sie nicht mal einen der eh schon rasend schnell abgewickelten Trends überdauern werden – das stört mich einfach. Vielleicht, weil ich die Tochter einer Schneidermeisterin und Modedirektrice bin. Einige der von meiner Mutter geschneiderten Mäntel, deren Eleganz sich zweifellos auch der Robustheit ihrer Wollstoffe verdankt, neben den Raglanärmeln und handgenähten Knopflöchern, hängen noch immer in meinem Kleiderschrank.

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Qualität, das ist in Zeiten des Klima- und Bewusstseinswandels aber nicht länger nur eine Frage des ästhetischen Empfindens, sondern auch eine solche des guten oder zumindest besseren Gewissens. Was länger hält, ist nachhaltiger. Das gilt mit Blick auf das Material wie auf den Style: Ohne Klassiker geht in der Mode nichts. Auch der beratungsresistenteste Fast Fashion Addict wird sich irgendwann seine persönlichen Lieblingsteile zusammengeshoppt haben, von denen er dann erst mal nicht mehr lassen möchte. Doch zur zeitlosen Ikone und zum unersetzlichen Partner in Crime bringt es nur das Fashion Piece, bei dem alles stimmt: Schnittführung, Passform, Langlebigkeit, Look. Und hier brillieren vor allem Spezialisten.

Dabei soll nicht das handgefertigte Paar Maßschuhe als Maßstab hergenommen werden. Die sind und bleiben wohl ein Nischenerzeugnis. Interessant sind hingegen die vielen mittelständischen Modeunternehmen, die ebenfalls bei ihren Leisten bleiben – indem sie sich auf ein bestimmtes Produkt spezialisiert haben oder in ihrem Sortiment zumindest einen klaren Schwerpunkt setzen. Oft haben sie mit ihrer Kundschaft einen stillen Deal: Wir halten unsere Produktqualität, ihr bleibt uns treu. Und vielfach gilt dieser Deal auch dann noch, wenn die ehemaligen Spezialisten längst ein Vollsortiment anbieten, wie Hosenprofi BRAX, Mantelexperte bugatti oder Anzughersteller ROY ROBSON.

Ob Hemd oder Hose: Wer sich einmal für eine Marke entschieden hat, greift gerne wieder auf dieselbe zurück. Frei nach dem Motto „Never change a winning team“. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass in Zeiten der Inflation die Preissensibilität hier und dort dazwischengrätscht. Männer sind ihrer Marke öfter treu als Frauen, hat eine EHI-Kundenbefragung aus dem Jahr 2020 ergeben. Wie aus dieser Befragung weiter hervorgeht, ist zudem der Qualitätsaspekt für Männer bedeutsamer und ihr bevorzugter Kanal beim Kleidungskauf ist das Ladengeschäft. Beim Shoppen vor Ort kauft jeder zweite Mann gezielt ein, spontane Textilkäufe sind eher nicht die Regel.

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Hier eröffnen sich besondere Chancen für den stationären Fachhandel, sei es der Brandstore oder der klassische Einzelhändler mit einem eher tiefen als breiten Sortiment. Natürlich ist es kein Geheimnis, dass gerade Letzterer in einem anhaltenden und sich aller Voraussicht nach weiter zuspitzenden Wettbewerb mit dem Online-Handel steht, und auch die Konkurrenz zu den vertikal Integrierten wie H&M und allen voran INDITEX macht es nicht leichter. Doch die Insolvenzen großer Multibrandhäuser und Warenhausketten der letzten Zeit führen eines überdeutlich vor Augen: Die Händler mit einer hohen Sortimentsbreite auf großer Fläche haben nicht nur mit hohen Fixkosten zu kämpfen. Sie sind einander zu ähnlich und scheitern daran. Oft bieten sie wenig mehr als die immer gleichen Waren und können sich so immer weniger gegen den Online-Handel behaupten. Atmosphäre, eine wirklich gute Beratung, andere Strategien zur Schärfung des eigenen Profils? Häufig Fehlanzeige.

Ein Pfund, mit dem sich auch im Retail wuchern lässt: Spezialistentum. Dieses fängt an bei einem sorgsam selektierten Sortiment und hört beim top geschulten Verkaufspersonal noch lange nicht auf – ich bin mir bewusst, dass die Suche nach ebendiesem angesichts des Fachkräftemangels, der sich laut HDE-Prognose 2023 noch einmal verschärfen wird, kein Selbstläufer ist. Eine stärkere zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung kann die Gemengelage ein wenig überschaubarer machen und dazu beitragen, die Kundenbindung zu steigern. Genau wie die viel beschworene Emotionalisierung des Angebots. Und natürlich ein Service, der sich auch dem Digitalen nicht verschließt. Aber das dürfte für einen Spezialisten ja selbstverständlich sein.