Das Experiment

KI im Journalismus

Passend zum Thema des Textes illustrieren wir das Experiment mit einem Bild, das Chat GPT generiert hat.

Autorin: Katja Vaders
Sitzen beruflich oder privat Kreative, Kunstschaffende, Journalisten oder Musiker zusammen, findet derzeit kaum noch ein Gespräch statt, in dem nicht die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) thematisiert wird. Übernimmt die neue Technologie schon bald unsere Arbeit und sollten wir uns daher nach einer neuen Beschäftigung umschauen?

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Ehrlicherweise müssen wir gleichzeitig zugeben, dass viele von uns Kreativen die „neue Freundin“ KI bereits seit geraumer Zeit gerne selbst nutzen, um sie für die eine oder andere unliebsame Tätigkeit einzuspannen. Sei es beim Transkribieren eines Interviews, der Übersetzung fremdsprachiger Texte, bei der Bearbeitung von Bildern oder beim finalen Korrekturlesen: Die meisten Kreativen greifen hin und wieder völlig ungeniert auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz zurück, ohne in diesem Moment an die Kollegen aus anderen Bereichen zu denken, deren (bezahlte) Dienstleistungen wir eventuell noch vor gar nicht allzu langer Zeit für ähnliche Tätigkeiten in Anspruch genommen hätten.

Schülerinnen und Studenten haben deutlich weniger Vorbehalte, sich ihre Aufsätze oder Hausarbeiten von einer KI formulieren zu lassen. Auch einige Journalisten geben zu, bisweilen eine Software wie ChatGPT zu nutzen, um sich ihre Arbeit zu erleichtern; man müsse halt „die Quellen checken“ oder „noch mal genau hinsehen“ und „das Hirn einschalten“, dann seien die Inhalte, die eine künstliche Intelligenz auswerfe, „gar nicht mal so schlecht“.

Wenn man ein paar passende Schlagworte eingibt, entwirft die KI eine Illustration. Ob sie dem Text entspricht, müssen Sie entscheiden.

Aussagen, die uns zu einem Experiment angeregt haben. Wir wollten einfach mal checken lassen, inwieweit der Output einer KI für professionelle Zwecke zu gebrauchen ist. Daher baten wir die KI „ChatGPT“, uns einen Text zu folgendem Auftrag zu verfassen: „Schreibe einen Artikel über das Zusammenspiel von Mode und Kunst in den letzten 50 Jahren in Deutschland und belege dies mit passenden Zitaten.“ Das Resultat schickten wir einer Expertin, Sabine Resch, Professorin für Modejournalismus mit Schwerpunkt Modeanalyse und Storytelling an der AMD München, mit der Bitte, den KI-generierten Text zu prüfen und zu kommentieren. Die Fragestellung war: Funktioniert ChatGPT als Quelle für einen Artikel und damit auch grundsätzlich als Recherchetool? Die Aufgabenstellung für die KI haben wir Sabine Resch vorher nicht verraten. Wir danken ihr für ihre Expertise und dass sie sich auf unser Experiment eingelassen hat.

Anmerkung der Redaktion: Die Kommentare von Sabine Resch (SR) sind jeweils in kursiver Schrift gehalten und direkt den betreffenden Textpassagen der KI zugeordnet. Um den Ausführungen der KI besser folgen zu können, empfehlen wir, diese zunächst in ganzen Sätzen oder Passagen zu lesen. Zur besseren Übersichthaben wir die Aussagen der KI gefettet.  Los geht’s mit den Zitaten der KI und den Ausführungen sowie den Fazits von Resch.

 

Die Headline der KI lautet: Mode trifft Kunst – ein halbes Jahrhundert kreativer Symbiose in Deutschland

Sabine Resch: Ich kenne den Prompt nicht, der der generativen KI gestellt wurde. Aber wie ich Headline und Inhalte verstehe, geht es um Mode und Kunst in Deutschland in den letzten 50 Jahren. Diese Headline ist nicht falsch, aber liefert eher einen Allgemeinplatz als Konkretes. Ist somit auch nicht als Überschrift wirklich geeignet.

KI: Die Schnittstelle zwischen Mode und Kunst hat in Deutschland über die letzten fünf Jahrzehnte eine beeindruckende Dynamik erlebt.

SR: Ein einleitender Satz, aber austauschbar.

KI: Insbesondere in der Männermode …

SR: … hier dringend erforderlich: Beispiele …

KI: … haben sich aus dieser Verbindung fortlaufend neue Stile und Strömungen entwickelt, die weit über die Grenzen der Laufstege hinaus gesellschaftliche Trends setzten.

SR: Hier dringend erforderlich: Beispiele, der plötzliche Fokus auf Männermode wird weder belegt, noch werden die vermeintlichen gesellschaftlichen Strömungen, die daraus hergeleitet werden, dokumentiert.

KI: 1970er-Jahre – die Punk-Revolution und Pop-Art. In den 1970er-Jahren ließen deutsche Designer wie Vivienne Westwood …

SR: Die genannte Designerin ist bekanntermaßen eine britische. Das ist ein fataler Fehler. Vivienne Westwood war die stilistische Begründerin der Punk-Mode, das ist korrekt.

KI: … sich von der Pop-Art und der Punkbewegung inspirieren. Diese Einflüsse ermöglichten es ihnen, die Modebranche mit provokanten Designs …

SR: … wieder fehlen Beispiele …

KI: … wieder herauszufordern, die sowohl als Ausdruck von Jugendkultur als auch als sozialer Kommentar dienten.

SR: Der Nebensatz klingt klug („sozialer Kommentar“), wird aber weder eingeordnet noch belegt.

 „Mode sollte eine Form der Flucht vor der Realität sein, nicht eine Form von Gefangenschaft.“  – KI- Zitat ohne Quellenangabe

SR: Inhaltlich ist das Zitat korrekt.

KI: 1980er-Jahre – Neue Deutsche Welle. Die 1980er waren geprägt von der Neuen Deutschen Welle, die eine Symbiose aus deutscher Musik und Mode hervorbrachte.

SR: Die NDW war eine explizite Ausrichtung einer neuen deutschsprachigen Musikrichtung zwischen Punk und New Wave, die keine modische Ausrichtung hatte.

KI: Designer wie Wolfgang Joop nutzten diesen kulturellen Vibe, um Mode zu schaffen …

SR: Dass sich Wolfgang Joop auf die musikalische Neue Deutsche Welle bezogen hätte, ist nicht überliefert.

KI: … die sowohl provokativ als auch ikonisch war, und prägten damit die Identität einer ganzen Generation.

SR: Keine konkrete Beschreibung von Joops Werk und Entwicklung seiner Marken.

  „Kunst lebt von der Courage und dem Experiment.“ – Wolfgang Joop

SR: Eine neue deutsche Modewelle kam in den 1990er-Jahren auf, die sich auf deutsche Modedesigner, die im Ausland studierten und sich dort einen Namen machten, bezog. Hier wären Markus Lupfer (London), Dirk Schönberger (London) oder Bernhard Willhelm (Antwerpen) zu nennen. Was hier im Part der 1980er über deutsche Mode geschrieben wird, ergibt keinen Sinn. In den 1980er-Jahren tauchten zwar Wolfgang Joop und Jil Sander am internationalen Modehimmel auf, hatten aber nichts mit der musikalischen Neuen Deutschen Welle zu tun. Hier werden Themen durchmischt, die nicht zusammengehören. Es wurde eben auch nicht recherchiert.

KI: 1990er-Jahre – Techno und Minimalismus. Mit dem Aufkommen der Technokultur in den 1990ern entstand in Berlin eine Modeszene …

SR: Das stimmt, Techno-Mode und -Musik gelten als deutsches beziehungsweise Berliner Phänomen (Love Parade).

KI: … die für ihre minimalistische Ästhetik bekannt wurde.

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SR: Techno-Mode ist alles andere als minimalistisch. Im Gegenteil: Sie ist laut, grell, schrill.

KI: Designer wie Jil Sander prägten mit klaren Linien und funktionalen Designs einen neuen Stil …

SR: Dieser Halbsatz über Jil Sander, die in den 1990ern als „Queen of Less“ gefeiert wurde, ist korrekt. Dazu passt auch der Begriff „minimalistische Ästhetik“ des vorherigen Satzes. Das hat aber wiederum nichts mit Techno zu tun.

KI: … der sowohl auf den Tanzflächen als auch im Alltag Anklang fand.

„Weniger ist mehr in der Mode, es geht um die Essenz der Dinge.“ – Jil Sander

SR: Sanders Zitat passt zu ihrer Mode, hat aber nichts mit Techno zu tun, die der Artikel hier synergetisch zusammenbringen möchte. Schlicht falsch. Und zum Oberthema Kunst ist auch in diesem Textabschnitt nichts zu finden.  

KI: 2000er-Jahre – Street-Art und Luxusmarken. Die 2000er-Jahre erlebten eine Verschmelzung von Street-Art und Luxusmodemarken.

SR: Korrekt. Hat aber mit Deutschland nichts zu tun. Und wieder: Beispiele fehlen.

KI: Eine bahnbrechende Zusammenarbeit war die zwischen adidas und dem Graffiti-Künstler Banksy, die eine limitierte Sneaker-Kollektion zur Folge hatte. Diese Kooperationen …

SR: Wieso Plural?

KI: … betonten Urbanität und kreative Freiheit.

 „Street-Art bringt die Kunst von den Galerien auf die Straße und in die Mode.“ – Banksy

SR: Zitate von Banksy sind mehr als rar. Sie stehen auf Wänden, sind Teil seiner Kunst im Kunstwerk. Die KI müsste mir daher einen Beleg liefern, ob er das oben genannte Zitat so gesagt hat. Der Satz klingt nicht nach Banksy-Kunstwerken. Und bekanntlich bleibt Banksy anonym, taucht nirgends auf und gibt keine Interviews. Ich stelle das Zitat daher infrage und würde es nicht in einem Text benennen. „Im Zweifel es lieber lassen“, heißt es ja im Journalismus.

KI: 2010er-Jahre – Nachhaltigkeit und soziales Bewusstsein. Das vergangene Jahrzehnt stand im Zeichen der Nachhaltigkeit.

SR: Das klingt so, als stünde Nachhaltigkeit nicht mehr im Fokus.

KI: Deutsche Modemarken wie ARMEDANGELS kooperierten mit Künstlern, um Kollektionen zu gestalten, die sowohl ökologisch als auch ästhetisch anspruchsvoll waren.

„Mode wird endlich grün; es ist eine neue Art zu denken.“ – Martin Höfeler, CEO von ARMEDANGELS

SR: Ja, ARMEDANGELS gilt als eine der am nachhaltigsten agierenden Firmen. Das ist korrekt. Das Thema hat in der Mode in Deutschland jedoch schon vor Jahrzehnten hessnatur besonders angetrieben.
Und wieder: Wo ist der Part Kunst, der in der Headline versprochen wird, untersucht zu werden?

KI: 2020er und Zukunft – digitale Kunst und Mode-Technologie. Die aktuellen Trends zeigen eine spannende Entwicklung, bei der digitale Kunst und Mode durch Technologien wie Virtual Reality verschmelzen.

SR: Hier fehlt wieder ein Beispiel aus der Kunst.
Der Einsatz von VR in der Mode ist vor allem im Retail bemerkbar. Es gibt in der Mode wesentlich aktuellere Themen wie:

  1. Mode aus dem 3-D-Drucker,
  2. Virtual Fashion, also Mode für unseren virtuellen Avatar in der digitalen Welt,
  3. den Einsatz von generativer KI in der Mode.

 Alle drei fehlen hier.  

KI: Dies ermöglicht es Designern, die Grenzen der Mode weiter zu verschieben und völlig neue Erlebniswelten zu schaffen.

„Digitale Technologien eröffnen unbegrenzte Möglichkeiten für die Mode.“ – Einflussreicher deutscher Mode-Technologe

SR: Das Zitat ist eine Plattitüde. Der Name fehlt. Die Berufsbezeichnung „Mode-Technologe“ ist so explizit und noch nicht etabliert, sodass es sich hier um einen Pionier handeln muss – den es so offenbar nicht gibt.

KI: Die Verbindung von Mode und Kunst hat die deutsche Modeindustrie nachhaltig geprägt und wird auch in Zukunft ein zentraler Bestandteil der kreativen Landschaft bleiben.

SR: Der Satz ist wieder eine Plattitüde.

KI: Diese Partnerschaften …

SR: … zu wenig Beispiele wurden genannt …

KI: … haben gezeigt, dass Mode viel mehr ist als Kleidung – sie ist eine Kunstform, die die Gesellschaft widerspiegelt und beeinflusst.

SR: Der letzte Satz ist zwar korrekt, aber wieder eine Plattitüde. Und liest sich wie der letzte Satz einer wissenschaftlichen Arbeit. Er gibt also eine seriöse verbale Ebene in der Wortwahl vor, die sich in den Inhalten der kleinen Textchen nicht erfüllt.

Fazit 1

Brauchbar sind diese kleinen Textchen allesamt nicht. Sie verlieren sich in Allgemeinplätzen, sind unkonkret, unzureichend bis falsch und sehr fehlerhaft. Falls die generative KI, in diesem Fall ChatGPT, diese Antworten geliefert hat, ist sie nicht informiert, liefert Fake News und bringt auch die inhaltliche Ebene, die der Prompt hier eigentlich verlangt, nicht zusammen. „Mode und Kunst in Deutschland der letzten 50 Jahre“ bildet eine anspruchsvolle Aufgabe ab, wozu eine Expertin beziehungsweise ein Experte seriöserweise erst einmal ordentlich recherchieren und gelieferte Inhalte verifizieren muss.

Fazit 2

Zum Zusammenhang der Trilogie des Prompts „Mode_Kunst_Deutschland“ fehlen wichtige Protagonistinnen und Protagonisten auf diesem Feld, die aus Deutschland heraus Mode und freie/bildende Kunst bespielen mit ihren Werken. Hier zu nennen wären Anne Imhof, Alexandra Bircken und Rosemarie Trockel. Der Begriff Kunst wird von der KI lediglich als Graffiti-Kunst benannt. Dass es freie und bildende Künstlerinnen und Modedesigner gibt, die in Deutschland Mode und Kunst synergetisch in ihrem Werk verinnerlichen und damit erfolgreich arbeiten, bleibt völlig außen vor.

Fazit 3

Es gilt im Journalismus nicht nur das Vier-Augen-, sondern auch das Drei-Quellen-Prinzip gegenüber der generativen KI und um Fake News nicht weiterzuverbreiten. Das heißt: Im Journalismus ist ein besonderer Umgang mit der KI gefordert. Was bislang Wikipedia als Recherchequelle auch nicht ausreichend geliefert hat, gilt erst recht für die textbasierte, generative KI.
Mit Wikipedia kann sich zumindest ein grober Überblick über ein Thema verschafft werden, da dort im Anhang der Artikel Quellen angegeben werden. Die KI dagegen liefert, wenn überhaupt, nur mangelhafte Quellen, bei denen man die Behauptungen verifizieren könnte.
Die generative KI hin und wieder zu nutzen, zum Beispiel um Arbeitsabläufe zu erleichtern, sie uns zunutze zu machen, um Produkttexte zu verfassen – prima. Sich aber auf sie zu verlassen, ist nicht nur grob fahrlässig, sondern geradezu unverantwortlich.
Textbasierte KI im Alltag zu nutzen, um etwa Mails vorzuformulieren, ist von seriösem Journalismus weit entfernt. Abgesehen davon kann die KI keine Reportage schreiben, dazu müsste sie bei einem aktuellen Geschehen anwesend sein können. Interviews kann sie ebenfalls nicht führen mit einer Person in der Realität. Auch einen persönlichen Kommentar kann sie nicht verfassen, denn die KI ist keine Person, sondern ein Algorithmus, der keine eigene Haltung zu einem Thema entwickeln kann.
Journalismus gehört zu den Kreativ-Berufen. Journalisten wie auch Designer, Künstler, Schriftsteller sind eben NICHT ersetzbar durch generative KI. Genauso wenig wie Berufe, die Empathie erfordern; ein Algorithmus ist nicht empathisch, sondern das Ergebnis einer Programmierung.
Aber im derzeitigen, noch anhaltenden KI-Hype wird – wie immer bei technologischen Hypes – erst einmal fasziniert und blind der Innovation distanzlos hinterhergelaufen, wie der Esel hinter der Karotte. Die sich schlussendlich als faul erweisen kann.
Dies war jetzt eine zugegeben distanzierte Haltung gegenüber der textgenerierten KI. Die bildgenerierte KI (Midjourney, Stable Diffusion et cetera) ist dabei noch gar nicht angesprochen.
Die distanzierte Haltung impliziert nun nicht, die KI zu ignorieren. Wir müssen sie uns zunutze machen. Aber wir können uns nicht ohne Weiteres auf sie verlassen.

Sabine Resch ©Aiblinger

Zur Person

Sabine Resch-Pilmes (* 1966) wurde im Juli 2019 zur ersten Professorin für Modejournalismus im deutschsprachigen Raum an der AMD Akademie Mode & Design in München berufen. Zudem ist sie seit fast 40 Jahren als Modejournalistin unter anderem für VOGUE, Süddeutsche Zeitung, Abendzeitung und Saarbrücker Zeitung tätig. 2018 wurde sie an der AMD München Studiendekanin des Bachelor-Studiengangs „Fashion Journalism & Communication“. Neben ihren journalistischen Veröffentlichungen ist Sabine Resch für Fachbücher als Co-Autorin tätig. Sie lebt in München, ist verheiratet mit Wirtschaftsjournalist Andreas Pilmes und hat zwei erwachsene Söhne.