„Nur der kleinere Teil der Marktteilnehmer ist aktuell KI-ready“

Transformation

„Die Branche ist auf dem Weg und wird zunehmend auch dazu gezwungen. Vertikale Anbieter machen vor, wie schnell und effizient datengetriebene Prozesse funktionieren können", sagt Berater Franz Ganzasch. © KI-generiert

Autor: Markus Oess
Künstliche Intelligenz verändert die Modebranche – von der Kollektionsentwicklung über das Bestandsmanagement bis zur Bedarfsplanung. Doch viele Unternehmen stehen noch am Anfang. FASHION TODAY MEN hat mit Frank Ganzasch, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung h + p hachmeister + partner, über Chancen, Herausforderungen und die Rolle von Daten gesprochen.

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„In jedem KI-Projekt stehen die Daten an erster Stelle, denn ohne Daten funktionieren die Algorithmen nicht.“ Frank Ganzasch ©hachmeister + partner

FASHION TODAY: Herr Ganzasch, viele sprechen von künstlicher Intelligenz als Schlüsseltechnologie. Wo sehen Sie aktuell den größten Nutzen für die Modebranche?
Frank Ganzasch: „Künstliche Intelligenz bietet der Modebranche vielschichtige Möglichkeiten. Angefangen bei der Kollektionsentwicklung, sei es durch die Erstellung von Analysen, Prints oder die Visualisierung der Produkte, bis hin zur optimalen Beschaffung und Aussteuerung der Waren in verschiedenen Kanälen und Formaten sowie dem kundenindividuellen Marketing oder KI-generierten Kampagnen. Wir bei h + p nutzen KI einerseits für das Auslesen von Artikelstammdaten aus Bildern und Texten, um noch granularere Analysen von Rennern und präzisere Trendvorhersagen zu ermöglichen – wir wissen bereits nach den ersten Saisonwochen, was in der Saison der Renner sein wird. Auch unsere Replenishment-Software basiert auf KI.“

Welche konkreten Anwendungsfelder sind aus Ihrer Sicht heute schon relevant – jenseits des Marketings?
„Jenseits des Marketings ist insbesondere die optimale Warenverfügbarkeit wie seit jeher das Kernthema eines jeden Händlers und Herstellers. Daher sind jegliche Absatzszenarien auf Artikelebene (SKU) – unter Einbindung externer Daten und Benchmarks – von hohem Interesse. In unseren KI-Projekten arbeiten wir hier mit Prognosegüten zwischen 95 und 99 Prozent. Wertvolle Mitarbeiter müssen sich nicht mehr mit der händischen Optimierung vieler PoS auseinandersetzen, sondern beschäftigen sich lediglich mit Ausreißern sowie Problem- und Potenzialfeldern. Es gilt, sich einerseits Wettbewerbsvorteile zu sichern, andererseits aber auch, nicht vom Wettbewerb abgehängt zu werden.“

In welchen Bereichen hat die Modebranche aus Ihrer Sicht den größten Nachholbedarf?
„In jedem KI-Projekt stehen die Daten an erster Stelle, denn ohne Daten funktionieren die Algorithmen nicht. PIM-Systeme und Datenrichtigkeit gewinnen daher weiter an Bedeutung. Nur Unternehmen, die ihre Daten systematisch erfassen, bereinigen und konsistent strukturieren und normieren, auf einer möglichst differenzierten Granularität, können KI-Anwendungen erfolgreich integrieren. Das bedeutet wiederum, dass mangelhafte oder uneinheitliche Datenstrukturen die Wirksamkeit von KI-Algorithmen deutlich einschränken. Nur der deutlich kleinere Teil der Marktteilnehmer ist aktuell ,KI-ready‘.“

Was ist mit dem Thema Sicherheit und Datenschutz?
„Datenschutz und Sicherheit müssen bei jeder datenbasierten Lösung, insbesondere bei KI-Anwendungen, von Anfang an mitgedacht werden. Denn je intelligenter ein System, desto sensibler sind häufig auch die zugrunde liegenden Daten. Besonders europäische KI-Anbieter sind hier bereits gut aufgestellt und berücksichtigen regulatorische Anforderungen wie die DSGVO umfassend. Neben der Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen ist auch die technische Umsetzung entscheidend: Unternehmen sollten genau prüfen, ob eine KI in einem geschlossenen, kontrollierten System operiert oder ob externe Datenquellen eingebunden werden beziehungsweise die eigenen Daten dem KI-Anbieter, dem System, zur Verfügung gestellt werden sollen. Der Umgang mit Drittinformationen, etwa aus offenen Datenpools, muss transparent und sicher gestaltet sein, um Risiken wie Datenabfluss, ungewollte Weitergabe oder Verzerrungen in der Analyse zu vermeiden.“

Welche Rolle spielt KI bei Forecasting und Bedarfsplanung – und wie verlässlich sind die Systeme wirklich?
„Im Forecasting und in der Bedarfsplanung hat künstliche Intelligenz längst einen festen Platz. Unsere Lösung ,ReStock-Optimizer‘ erzielt dabei überzeugende Ergebnisse bei der Prognose nachorderfähiger Artikel. Bei unseren Mandanten beobachten wir LUG-Steigerungen von 10 bis 25 Prozent, Abschriftensenkungen zwischen 5 und 10 Prozent sowie Umsatzsteigerungen von 8 bis 20 Prozent. Damit lassen sich Bestände präziser planen, Engpässe wie ein Out of Stock vermeiden und gleichzeitig die Kapitalbindung deutlich reduzieren. Das System ist flexibel einsetzbar – ob im Multilabel-Handel, bei Herstellern, im Own Retail, im Marktplatzgeschäft oder zur Optimierung von Freilagern.“

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Wie lässt sich KI sinnvoll in Design- und Produktentwicklungsprozesse integrieren?
„Die KI kann beispielsweise Artikelattribute (etwa Kragenform eines Hemdes, Hosenform et cetera) der Bestseller bestimmen. Auf dieser Basis können neue, marktgerechte Artikel entwickelt werden. Zudem liefert KI kreative Impulse, indem sie ungewöhnliche Kombinationen vorschlägt und aktuelle Trenddaten berücksichtigt.“

„Im Forecasting und in der Bedarfsplanung hat künstliche Intelligenz längst einen festen Platz.“

Welche organisatorischen Veränderungen, aber auch in den Köpfen der Menschen, sind nötig, damit KI-Projekte im Unternehmen tatsächlich Wirkung entfalten?
„Entscheidend ist, dass KI nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung verstanden wird. Mitarbeitende sollten von Anfang an eingebunden, gezielt geschult werden und ihnen Transparenz über den Entscheidungsprozess der KI gegeben werden. Wichtig ist außerdem, neue Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren. KI verändert nicht nur Prozesse, sondern auch Arbeitsprofile. Nur wenn alle Beteiligten offen für Veränderungen sind, kann das volle Potenzial entfaltet werden.“

Wie verändert KI die Aufgaben und Profile von Mitarbeitenden in Einkauf, Vertrieb und Marketing?
„Das ist eine individuelle Veränderung, je nachdem, wie die KI Einsatz im Unternehmen findet. KI verschiebt die Aufgabenbereiche, das ist jedoch nicht pauschal für die verschiedenen Profile zu nennen. Im Einkauf bedeutet das zum Beispiel: weniger operative Disposition, mehr Fokus auf Sortimentsstrategie, auf Mode im eigentlichen Sinn. Im Marketing verschiebt sich der Fokus auf datengetriebene Kampagnensteuerung. Die Veränderung ist dabei immer abhängig vom konkreten Einsatzfeld.“

Wie weit ist die Branche insgesamt auf dem Weg zur echten datengetriebenen Organisation?
„Die Branche ist auf dem Weg und wird zunehmend auch dazu gezwungen. Vertikale Anbieter machen vor, wie schnell und effizient datengetriebene Prozesse funktionieren können. Um als klassischer Händler oder Hersteller langfristig konkurrenzfähig zu bleiben, braucht es ein Umdenken. Datenbasierte Entscheidungen sind keine Kür mehr, sondern eine Notwendigkeit, um zum Beispiel Kapitalbindung zu reduzieren, den Modegrad zu erhöhen, den Personaleinsatz effizienter zu managen und insgesamt die Profitabilität zu erhöhen. Ein nicht datengetriebenes Unternehmen wird nur schwer in der Zukunft überleben.“

Der Gesprächspartner

Frank Ganzasch ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung h + p hachmeister + partner. Im Unternehmen ist er seit mehr als 26 Jahren tätig und verfügt über eine entsprechend breite Beratungserfahrung im Einzel- und Großhandel sowie im Benchmarking. Zu seinen Fachthemen zählen BI, ERP, CRM und Finanzen. Ganzasch hat sich außerdem auf die Menswear spezialisiert.