Nachgefragt: 10 Thesen – 10 Antworten

PREMIUM GROUP

Anita Tillmann ©Boris Kralj

Autor: Maximilian Fuchs

Wir haben Anita Tillmann, Managing Partner der PREMIUM GROUP, einige Thesen vorgestellt, die die Branche bewegen. Im exklusiven Gespräch verrät uns die Fashion-Entrepreneurin, wo es in Sachen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Handelsstruktur aus ihrer Sicht hingeht.

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  1. Reine Fachmessen ohne Eventcharakter und die Einbindung von Endverbrauchern haben keine Zukunft.

„In dieser Fragestellung stecken aus meiner Sicht zwei Thesen: Die eine ist, reine Fachmessen ohne Eventcharakter, also reine Transaktions- und Ordermessen, haben keine Zukunft. Dem stimme ich zu. Wir handhaben das schon seit Beginn der PREMIUM anders. Unsere Industrie entwickelt sich immer mehr in Richtung Experience, Emotionalisierung und Events – ohne diese Faktoren geht es nicht mehr. Wir, die PREMIUM GROUP, sehen uns als Kommunikationsplattform. Wir investieren extrem viel in Content, Commerce und Communication. Und wir verstehen uns als Creative Connectors. Unsere größte Stärke ist es, die richtigen Player zusammenzubringen.

Die Einbindung von Endverbrauchern halte ich für bedingt richtig. Es gibt Formate und Segmente, da trifft das zu, bei anderen nicht. Wir nennen das zum Beispiel bei der BRIGHT statt Business-2-Consumer, Business-2-Community. Heute sind die Grenzen verschwommen, die Endverbraucher sind ein wichtiger Teil dieser Community und gehören zum Ökosystem dazu. Die Meinung der Community ist so wichtig, es lässt sich heute nicht mehr trennen; von daher lösen sich Grenzen zwischen Business-2-Business und Business-2-Customer für bestimmte Segmente und Teile des Marktes immer mehr auf.“

  1. Die digitale Revolution macht sowieso analoge Messen überflüssig. Kontakte, Sichtung und Waren- beziehungsweise Markenpräsentation finden bald nur noch im digitalen Raum statt.

„Dies steht im Prinzip im Gegensatz zur ersten These. Face-to-Face is powerful! Es geht um Experience, Storytelling, Austausch, Inspiration und Emotionen. Dabei sind Sensibilität und Erfahrungen nichts Abstraktes und basieren auch nicht auf empirischen Daten. Sie müssen gefühlt und erlebt werden und ‚Messen‘beziehungsweise ‚Events‘, die es verstehen, die richtigen Player zu vereinen, sind unverzichtbar. Digitalisierung ist natürlich unfassbar wichtig, deshalb wird es Plattformen geben, in denen man sein Business und Prozesse digitalisiert und optimiert. Das bringt die Technologie einfach mit sich. Löst es den direkten Kontakt und das Erlebnis, das Gefühl vor Ort und die Verbindung zwischen den Menschen ab? Nein, das sehe ich definitiv nicht so. Es geht nicht um ,entweder … oder‘ – es geht vielmehr um ,sowohl … als auch‘. Ich halte das Thema analog und digital für einen Kreislauf, der mit Sicherheit neue Regeln und Standards setzt. Diejenigen, die es erfolgreich umsetzen, werden aus meiner Sicht dauerhaft Erfolg haben.“

  1. Mode und Nachhaltigkeit schließen einander aus.

„Leider viel zu oft stehen sie noch in Dysbalancezueinander. Man könnte und müsste vieles ändern. Ich fände es ja zum Beispiel gut, wenn die nicht abverkaufte Ware, die schon umweltunfreundlich hergestellt wurde, dann nicht auch noch weggeschmissen oder verbrannt würde, sondern wenn man pragmatisch an die Sache herangeht. Es gibt viele bedürftige Menschen, an die man die Sachen spenden könnte, statt sie zu vernichten. Generell muss an der Problematik gearbeitet werden. Das passiert nicht von heute auf morgen, aber Ziel muss es sein, das Verhältnis grundsätzlich in Balance zu bringen.“

  1. Die Mode ist zum Stillstand gekommen, was wir sehen, ist nur eine verzweifelte Variation alter Ideen.

„Ich sehe das nicht so und habe eine abstraktere Herangehensweise. Ich glaube, dass die vielen nebeneinander herlaufenden Ideen und Strömungen ‚in Mode‘ sind. Und wer definiert eigentlich, was gerade in Mode ist? Designer oder Tribes? Retailer oder Endverbraucher? Fakt ist, es gibt keine klare Kategorisierung mehr, interdisziplinär verschmelzen die Bereiche – alles geht und ich glaube, die Parameter entwickeln sich neu. Der Handel und die Industrie stehen vor der Aufgabe, sich zu fokussieren und eine klare Sprache zu sprechen.

Das 032c-Magazin behandelt in der aktuellen Ausgabe das Thema ,The Big Flat Now‘, die Verbindung von Kunst, Mode, Kultur und Musik. Nun leben wir in Berlin, hier erleben wir diese Verschmelzung unterschiedlicher Einflüsse und Formen jeden Tag aufs Neue.

Wir kommen mit der PREMIUM ja quasi aus genau dieser Richtung, also der Verschmelzung von Kunst und Mode. So haben wir schon vor 15 Jahren für unsere Kampagnen nur mit Künstlern gearbeitet und auch viele Brands präsentieren seit jeher Künstler-Collabs. Zur Juli-Veranstaltung haben wir eine sehr prominente Kooperation mit dem deutschen Künstler Anselm Reyle. Vor Ort wird es von König Souvenir, dem Label der Berliner KÖNIG GALERIE, einen Stand geben, an dem von Künstlern gestaltete Merchandising-Produkte direkt vor Ort verkauft werden. Berühmt ist der Europa Sweater oder die Kooperation mit lala BERLIN. Des Weiteren werden die Modelabels KRAGENWEITE aus dem Hause Grönemeyer und BECK TO BECK von Michi Beck (von den Fantastischen Vier) auf der PREMIUM präsentiert. Auch die Verbindung von Mode und Musik gibt es schon sehr lange und ist immer wieder interessant und ‚in Mode‘.“

  1. Customizing wird zur Massenware.

„Vielleicht ja, vielleicht nicht.“

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  1. Der stationäre Handel kann sich auch in den Premium- und Luxussegmenten vom modischen Sicherheitsdenken nicht befreien. Geordert wird, was alle kaufen.

„Das kann ich bestätigen und beobachte es leider auch. Vielleicht funktioniert es für manche, aber ich glaube nicht, dass somit mittel- und schon gar nicht langfristig große Umsatzsteigerungen möglich sind. Es gibt aber auch andere erfolgreiche Beispiele, die das Risiko auf sich nehmen, sich einerseits auf die eigenen Stärken zu besinnen, aber auch darauf zu reagieren, was gefragt ist. Die Ängste, aus der ,Sicherheitszone‘ auszubrechen und an Umsatz zu verlieren, sind nachvollziehbar, aber mit Wagemut ist der Sprung zu Wachstum nach oben sehr viel größer.

  1. Technologischer Fortschritt zählt nicht am Produkt, sondern nur in den Prozessen. Ausgeklügelte Materialien und Features sind reine Spielerei.

„Wieso nur am Produkt oder nur an Prozessen? Was wir beobachten, besonders im Rahmen der #FASHIONTECH Berlin Conference, ist eine enorme Entwicklung. Vieles ist noch im Prototyping-Stadium. Bis die Produkte Marktreife erlangen, dauert es etwas. Aber wenn diese neuen Produkte gelauncht werden, bin ich mir sicher, dass es einen Riesenrun darauf geben wird.

Wir haben in Kooperation mit der Deutschen Telekom das erste Fashion-Accelerator-Programm ,FASHION FUSION‘ mit initiiert und die Ergebnisse werden zur Fashion Weekim Rahmen des Fashion Fusion Awards gezeigt. Und ich kann jetzt schon sagen: Hier passiert wahnsinnig viel! Es werden unglaublich viele Anfragen und Bewerbungen aus der ganzen Welt mit guten Ideen eingereicht. Es dauert wohl noch etwas, bis wir von Massenproduktion sprechen können, aber die Entwicklung ist immens. Auf der nächsten #FASHIONTECH Berlin Conference im Juli werden wir viele neue Business-Modelle vorstellen –on stage, auf der Ausstellungsfläche wie auch in Workshops in den Masterclasses. Was besonders spannend ist und was man direkt auf der PREMIUM erleben kann: Red Bull wird mit seiner eigenen Kollektion ALPHATAURI ausstellen und einen 3-D-Drucker mitbringen, mit dem innerhalb einer Stunde – vor Ort – ein Pullover gestrickt wird.“

  1. Digitales Marketing löst die analoge Kommunikation ab.

„Auch hier bin ich wieder bei meinem Kreislauf-Modell. Ich glaube, was sich verändert, ist, welche Inhalte über welche Kanäle kommuniziert werden. Dass wir durch Technologie nicht mehr direkt miteinander sprechen, halte ich für einen Irrglauben, den es schon seit Anbeginn der Technisierung gibt. Denken Sie nur daran, was es damals beim Aufkommen der Fernsehgeräte für Sorgen gab vor totaler Isolation und Abschottung des Einzelnen.

Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Die Musikindustrie ist beispielhaft, denn dort hieß es auch, dass sich Künstler und Musikliebhaber durch Anbieter wie Spotify oder musical.ly voneinander entfernen. Heute sehen wir, dass es noch nie so viele Möglichkeiten für Endverbraucher gab, um mit Musikern und Bands in Kontakt zu treten. Es gab noch nie so viele Livekonzerte und Festivals und einen weltweiten Austausch von Playlists. Durch die Digitalisierung und die Möglichkeiten des digitalen Marketings können Künstler ihre Fans direkt erreichen. Die Chance, als junger Künstler und auch als Designer direkt in den Kontakt mit dem Endverbraucher zu gehen, ist so groß wie nie. Digitales Marketing ist meist algorithmusgesteuert, analoge Kommunikation direkter Kontakt zwischen Menschen.“

  1. Ohne massive digitale Aufrüstung hat der stationäre Handel in Zeiten des E-Commerce schon verloren.

„Grundsätzlich denke ich, dass sich der stationäre Handel einige Maßnahmen der digitalen Aufrüstung zur Prozessoptimierung zunutze machen sollte. Sei es über Payment-Lösungen, aber auch über neue digitale Plattformen. Wir haben als Partner des Handels und der Industrie in eine neue digitale B2B-Metaplattform für unsere Branche investiert, die aus der Sicht des Einkäufers programmiert wurde. Damit wird es möglich, auch kurzfristig, mit allen Marken in Kontakt zu treten und Produkte zu sichten, ordern zu können sowie Lagerbestände im Blick zu behalten. Das Ganze nennt sich www.veee.com und wird auf der PREMIUM und SEEK gelauncht und direkt vor Ort erlebbar.

Aber um nochmals auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich denke nicht, dass es für den Handel massive technische Aufrüstung braucht. Meine Empfehlung wäre, sich der Werkzeuge zu bedienen, die es am Markt gibt, und sie situativ einzusetzen. Auf der Fläche wird es mehr denn je um Experience gehen. Es ist ein bisschen wie das Ying und Yang der Moderne; Vernunft und Emotion. Keine Kultur in der menschlichen Geschichte hat Gefühlen, Wünschen und Erfahrungen des Einzelnen so viel Bedeutung beigemessen, wie wir das heute erleben. Und die Chance des stationären Handels ist es, genau das zu bedienen und auf diese Wünsche einzugehen. Ein Händler musste sich im besten Fall schon immer die Frage stellen: ,Was kann ich meinem Kunden bieten, damit er sich wohlfühlt?‘Aus meiner eigenen Erfahrung gesprochen, als Endkonsumentin und Shopping-Hardliner: Es gibt keinen Online-Shop, der mir das Gefühl gibt, das ich habe, wenn ich in einem Store Produkte vor Ort aus- und anprobiere, und ich gebe mehr Geld aus. Was E-Commerce-Anbieter natürlich als großen Vorteil mitbringen, ist die große Produktauswahl. Aber ich finde es toll, wenn ein Händler zum Telefon greift und sagt:,Frau Tillmann, wir haben neue Produkte der Marke XY, möchten Sie nicht vorbeikommen und sich die Kollektion anschauen?‘Darüber freue ich mich viel mehr als über einen Newsletter. Die Beziehung zu den Kunden kann man im klassischen Handel einfach viel intensiver aufbauen und die bereits erwähnte Experience on Location ist das große Plus. Nicht umsonst suchen E-Commerce-Anbieter zusätzlich den physischen Kontakt zum Konsumenten. zalando zum Beispiel veranstaltet sehr erfolgreich ein Festival, um auch seine Kunden einzuladen und Marken vor Ort erlebbar zu machen.“

  1. Kunden zu kennen, reicht nicht mehr aus. Erfolgreiche Händler setzen auf Manipulation.

„Dazu habe ich eine Gegenfrage: ,Sind gute Verkäufer nicht immer die besten Manipulanten?‘ Und ist das unbedingt schlecht für den Kunden? Ich glaube nicht, denn es gehören immer zwei dazu. Der eine, der manipuliert, und der andere, der sich manipulieren lässt. Wir reden ja hier über keine schlimmen Opfer, keiner wird gezwungen, ein Produkt zu kaufen. Aber das hat man natürlich immer schon gemacht – ob nun ein Staubsaugerverkäufer vor der Tür stand oder man postalisch Briefe und Kataloge bekommen hat, per Newsletter oder Social Media kontaktiert wird … Ich denke, es gehört in gewisser Weise einfach zum Verkaufen dazu, und so gesehen ist Manipulation im Sales-Bereich per se nichts Schlechtes.“