Kinder, wir fahren nach Berlin

Messe

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Autor: Markus Oess

Bietet die Spree-Metropole überhaupt noch genug, um als Modehauptstadt durchgehen zu können? Es gebe zu Berlin keine Alternative, war die Antwort, die FT auf Nachfrage bei Messemachern und Messe-Ausstellern gleichermaßen erhalten hat. Wirklich zufrieden waren aber wenige. Das ist die schlechte Nachricht. Alle wollen daran etwas ändern. Das ist die gute Nachricht. Eine Bestandsaufnahme.

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„Diese Branche ist unvernünftig. Modeleute leben davon, irrational zu sein, sie sind wie Kinder”, sagte Thomas Rasch dem Bonner General-Anzeiger. Das war im Januar 2011 und Rasch war Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands German Fashion. Da gab es auch noch die Bread & Butter und der damalige Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), war ein gern gesehener Gast. Rasch sagte auch: „Es kann sein, dass demnächst alle nach Castrop-Rauxel marschieren, wenn dies gerade in ist.” So weit ist es noch lange nicht, aber die Modemessen in der Bundeshauptstadt versprühen nicht erst seit dem Ende der Bread & Butter 2015 als B2B-Plattform weniger Sternenstaub. Das quirlige Treiben in Berlin wird etwas weniger quirlig. Aussteller sehen den Besucherrückgang teils mit Sorge (Motto: Verlieren wir wieder einen Messestandort?), teils unberührt (Motto: Es wird viel spekuliert und bleiben die uninspirierten Gangfüller weg, bleibt mehr Zeit für die echten Business-Termine mit den guten Händlern).

Ist das jetzt gut oder schlecht? Offiziell jedenfalls scheint die Sonne auf Sexy-aber-arm-Berlin: „Mehr als 3.500 Aussteller präsentierten zur Berlin Fashion Week im Juli 2018 (3. bis 7. Juli 2018) ihre Kollektionen auf den Messen, Designer zeigten im Rahmen der MBFW ihre Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2019“, teilen die Initiatoren der Berlin Fashion Week mit (www.fashion-week-berlin.com). „In der vergangenen Saison besuchten 100.000 Fachbesucher die Modewoche, nationale und internationale Journalisten akkreditierten sich für die Fashionshows, Modemessen und Konferenzen – das Ergebnis: 5.000 Zeitungsberichte sowie mehr als 5.000 Online-Beiträge. Für den Modestandort Berlin bedeutet die Berlin Fashion Week eine wirtschaftliche Zusatzleistung von 120 Millionen Euro pro Saison“, heißt es da weiter. Hinter der Berlin Fashion Week verbirgt sich die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, die die Modebranche seit 2007 mit einem jährlichen Budget von bis zu einer Million Euro und einem umfassenden Portfolio an Maßnahmen fördert. Nicht eben üppig für die vielen Veranstaltungen in der Millionenmetropole, vor allem wenn das „bis zu“ als limitierender Faktor allzu limitierend interpretiert wird. Mit im Boot sitzt dazu die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH. Sie ist seit 2007 für das Standortmarketing rund um die Berlin Fashion Week zuständig. „Im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe entwickelt Berlin Partner das Key Visual, das für die Außenwerbung in der Stadt, für Medienkooperationen mit nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen sowie allen relevanten Social-Media-Kanälen genutzt wird“, erfährt der Leser auf der Website.

Zum Vergleich ein Blick nach Florenz. Die Stadt am Arno zählt um die 380.000 Einwohner, Berlin knapp 3,5 Millionen. Im FT-Interview im Mai 2017 nannte Lapo Cianchi, Director of Communication, Special Events and International Relations Pitti Immagine, abseits von der ideellen Unterstützung eine Förderung in Höhe von 1,8 Millionen Euro, „die wir auf insgesamt sieben Messeformate verteilen müssen. Wir veranstalten bekanntlich nicht nur die Pitti Uomo. Aber es hilft uns in den Bereichen Kommunikation und Hospitality. Wir können besseren Service bieten und mehr Werbung betreiben. Ich gebe Ihnen ein Rechenbeispiel. Für die letzte Pitti haben wir schätzungsweise 500.000 bis 600.000 Euro für die Akquise von neuen Besuchern aus den Emerging Markets, auf die wir uns diesbezüglich fokussieren, ausgegeben.“

Zurück zu Berlin, wo gleich mehrere Veranstalter mit ihren Messen um die Fachbesucher konkurrieren. Dass die Politik die Modemessen stärker unterstützt, wäre für Thimo Schwenzfeier absolut wünschenswert. Schwenzfeier ist Show Director des Greenshowrooms und der Ethical Fashion Show Berlin, die zur Winterauflage 2019 unter dem Namen Neonyt zusammengefasst und von der Messe Frankfurt aufgelegt werden: „Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien ist Mode in Deutschland leider nach wie vor kein Kulturthema, sondern lediglich Bekleidung, um nicht nackt herumzulaufen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik hier deutlich mehr Akzente setzen würde. Das Fashion Council Germany ist ein Schritt in die richtige Richtung und zur Messerunde im Winter 1917 hatten wir ja auch Wirtschaftsministerin Zypries zu Besuch. Es tut sich also schon etwas. Was nach wie vor fehlt, ist der lässige, spielerische Umgang mit der Mode, der in anderen Ländern selbstverständlich ist. Das wird dem wichtigen Modestandort Deutschland nicht gerecht.“

Einsicht, dass Berlin die einzige Stadt in der Republik ist, die sich dafür anbietet. ©pixabay

Und das, obwohl die Hauptstadt unbestritten der einzige Ort ist, der mit Metropolen wie Mailand, Paris oder London mithalten kann. „Ich weiß, dass es da große Diskussionen gibt und der Standort sehr kritisch betrachtet wird. Aber ich glaube, dass sich die Branche damit keinen Gefallen tut. Natürlich hat Berlin seine Schwächen und natürlich gibt es immer Punkte, die verbessert werden könnten, doch meiner Meinung nach überwiegen die Stärken deutlich. Es hat schließlich seine Gründe, warum viele Länder neidisch auf den Standort Berlin blicken“, sagt Schwenzfeier. Aber da gibt es auch die übrigen Messeveranstalter mit Sitz in Berlin und die sehen keine Alternative zum dicken „B“ an der Spree. PANORAMA-Chef Jörg Wichmann etwa sagt, Berlin müsse wieder mehr in den Fokus gerückt werden, die Stadt sei international gesehen auch heute ein absoluter Hotspot. „Berlin entwickelt sich rasant und hat zum Beispiel London bei den Investitionen in IT und der Infrastruktur überrundet. Wir werden unseren Gästen zeigen können, wo sich die neuen, spannenden It Places befinden. Die sind schon lange nicht mehr in Mitte, sondern in Neukölln, Wedding et cetera. Dort sind heute die Zentren der ‚Creative Communities‘. Also werden wir Gäste und Aussteller zukünftig mit auf eine Reise nehmen, die ihnen Berlin als internationale Megacity nahebringt.“ Berlin, ist Wichmann überzeugt, habe einen Underground-Kern und der funktioniere nach wie vor. „Ganz abgesehen davon fällt mir keine andere Metropole hierzulande ein, die dies als Hub darstellen kann. Berlin muss als Plattform zwischen Handel und Industrie funktionieren und dafür müssen wir noch enger zusammenarbeiten: Messeveranstalter, die Stadt Berlin, Interessenverbände und die Aussteller selbst.“ Shane Brandenburg, Sales Manager, SELVEDGE RUN, sieht es ganz ähnlich: „Berlin hat ein besonderes und raues Flair, welches die Besucher lieben, und die Preise sind immer noch moderat im Vergleich zu anderen Modemetropolen“, sagt er. Zudem sei Berlin als Messestandort für hochwertige Bekleidung in Europa ideal. Anita Tillmann, Managing Partner PREMIUM GROUP, sieht Berlin gar als Synonym für Street Culture und Fashion, für Jugend, Innovation und Digitalisierung. Hier passiere alles unter der Überschrift „Neu und anders“.

Die Branche, für die das ganze Spektakel veranstaltet wird, eint die Einsicht, den Messestandort am Laufen halten zu müssen und nicht wieder schon den Abgesang auf eine funktionierende Veranstaltung anzustimmen, und es eint sie mit den Veranstaltern die Einsicht, dass Berlin die einzige Stadt in der Republik ist, die sich dafür anbietet. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer FT-Umfrage unter mehreren Ausstellern und dem Handel. „Ohne Zweifel ist die Plattform Berlin unverzichtbar für den Austausch von Gedanken, die Sichtung von Trends und Kollektionen, aber auch intensive Diskussionen zwischen Handel und Industrie bedürfen einer solchen Plattform. Hier gibt die PREMIUM von ihrem ganzen Habitus her ein tolles Beispiel“, sagt etwa Wolfgang Mosebach, CEO von TIMEZONE, Brannenburg,der allerdings zurzeit in Berlin nicht präsent ist. Mike Alsdorf, Vertriebs-Chef des Skandilabels BERTONI, spricht sogar von der besten Veranstaltung, seit BERTONI sich an der Spree präsentiert (fünfmal). Alsdorf fühlt sich am Gleisdreieck auf der PREMIUM bestens aufgehoben. „Für uns ist die PREMIUM in Berlin die einzig richtige Messe. Wir halten in jedem Fall daran fest. Mag sein, dass die Messe weniger Zuspruch hatte. Wir selbst sind sehr zufrieden.“

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Und der Handel? L&T Lengermann & Trieschmann GmbH & Co. KG ist auf allen Messen, die rund um die Fashion Week gezeigt werden, unterwegs. Berlin, sagt Thomas Ganter, Geschäftsführer L&T, sei ein idealer Platz, um möglichst viele Entscheider an einem Ort konzentriert zu treffen. „Wir führen viele Gespräche, informieren uns und bereiten Entscheidungen vor. Wir sind auch auf internationalen Messen in Paris, Kopenhagen, Florenz und manchmal auch in den USA präsent. Berlin ist sehr wichtig. Deutschland braucht einen starken Messestandort. Berlin ist in Deutschland aus meiner Sicht die einzig richtige Stadt dafür“, bezieht Ganter klar Stellung. Auch Christian Greiner, Vorstand der Ludwig Beck AG und Inhaber der fränkischen Modekette Wöhrl AG, sieht zu Berlin keine Alternative: „Berlin ist und bleibt eine der spannendsten Metropolen in Europa und ist somit natürlich extrem wichtig für die vielseitige Modebranche.“ Mike Spolder, Director Customer Relations EK Fashion, und Gerhard Albrecht, Chef der unitex, blasen gegenüber FT ins gleiche Horn. KATAG-Vorstand Angelika Schindler-Obenhaus bringt die Sache auf den Punkt, kann aber die Enttäuschung nicht ganz verbergen: „Berlin verliert leider an Bedeutung, vor allen Dingen international und dadurch im Nachgang auch national. Wir brauchen aber Berlin mehr denn je! Berlin muss wieder etablierter werden“, fordert sie.

Und es wird auch Unmut laut. BENVENUTO.-Chef Justo J. Gallardo zum Beispiel ist unzufrieden. Das Hammer Label ist von Anfang an dabei, vermisst aber die Weiterentwicklung. Auch mit der internationalen Resonanz ist Gallardo unzufrieden. Wenn die Messe Fortschritte machen sollte, wären eine Aussteller-Bereinigung und die Akquise neuer international wichtiger Marken unvermeidlich. Ob das Label auch im Winter ausstellen wird, ist noch offen. Gerade das geringe Interesse ausländischer Einkäufer an Berlin ist ein Manko, das nicht erst in der jüngeren Vergangenheit zutage trat. Trotz vielfältiger Bemühungen bleibt für viele Aussteller internationales Publikum häufig ein Wunsch. „Die Messe ist sehr national ausgerichtet. Bis auf ein paar Schweizer und Österreicher hat sich Berlin als internationale Plattform bis dato nicht durchsetzen können“, bedauert Maro Nachtrab, Geschäftsführer von BRÜHL. Dennoch will er, wie die meisten Hersteller auch, an dem Standort (PANORAMA Berlin) festhalten. „Gegen eine weitere Zunahme der Internationalität hätten wir nichts einzuwenden. Insbesondere aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Österreich oder der Schweiz dürften sich gerne mehr Besucher auf unseren Messeständen einfinden“, führt auch OLYMP-Chef Mark Bezner an, der mit OLYMP auf der PANORAMA und mit SIGNATURE auf der PREMIUM ausstellt. „Die PANORAMA ist aus unserer Sicht aktuell eine deutsche Messe. Der Anteil der für uns relevanten internationalen Besucher ist viel zu gering“, moniert Jürgen Putzer, Marketing-Chef bei Création Gross. Er würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn Berlin international mehr Zuspruch fände und die Frequenz der Besucher sich besser auf die Messetage verteilen würde.

Gleichwohl sehen Aussteller, aber auch Händler die langen Wege in der Hauptstadt nicht gerade als zuträglich für einen effizienten Messebesuch. „Eine engere Verknüpfung der Messen –vielleicht müssen wir ein Messe-Bündnis schaffen – sollte gewährleistet sein, um dem Standort mehr Power zu geben. Die Dezentralität Berlins, zum Beispiel gegenüber Florenz, ist eine Herausforderung“, sagt Christian Bieniek, Director Brand &Product Management, FYNCH-HATTON. Eine Aussage, die von Händlern, mit denen FT gesprochen hat, durchaus geteilt wird. „Es sollte eine bessere Logistik da sein, es sind zu weite Wege. Vielleicht ein Standort? Eventuell Tempelhof neu beleben. Mehr internationale Marken und keine Überschneidung mit Paris, damit PREMIUM-Einkäufer überhaupt kommen“, sagt Schindler-Obenhaus.

„Kurze Wege an einem Messestandort sind immer wünschenswert.“ L&T-Chef Ganter nennt einen ganz wesentlichen Faktor für eine erfolgreiche Messe, der über gut oder nicht gut entscheidet: „Vor allen Dingen erwarte ich Inspiration.Ich möchte abgeholt und begeistert werden. Unsere Kunden erwarten dies auch von uns! Und …ein Ende der Diskussionen, ob wir Berlin als Messestandort brauchen. Wir brauchen es, ein selbstbewusstes Statement aus der Modebranche in der Hauptstadt.“ Anders ausgedrückt: „Der ‚Angst-etwas-zu-verpassen-Faktor‘ der Fashion Week in Berlin ist zu schwach ausgeprägt, hier könnten die Veranstalter ansetzen, um aus einer guten Fashion Week eine sehr gute zu machen!“, sagt Mike Spolder, Director Customer Relations EK Fashion. Wenn das gelingt, bleibt Castrop-Rauxel: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.