Spiel mit drei Trümpfen

Handel

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Autor: Markus Oess

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Der Handelsverband BTE, Köln, tut das, was er soll. Er beleuchtet die Zukunftsaussichten seiner mittelständischen Mitglieder und setzt sich für deren Belange ein. In einer aktuellen Studie geht es um drei Aktionsfelder, auf denen der Fachhandel vor großen Herausforderungen steht. Wenn es aber gelingt, sehen die Überlebenschancen trotz aller Marktverwerfungen so schlecht nicht aus. Ein Überblick.

Rosarot ist nur der Männerpulli, den keiner haben will, die Aussichten im stationären Fashionhandel sind es nicht. Von 2000 bis 2017 hat sich laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Textilhändler auf noch 16.542 Unternehmen mehr als halbiert. Gleichzeitig rennt der Online-Handel der allgemeinen Marktentwicklung davon. Allein im Jahr 2017 lag der Umsatz im Netz bei nahezu 50 Milliarden Euro. Und das Wachstum hält an, auch wenn die Umsatzsprünge doch kleiner ausfallen. Überdies hat die Mode mit einem Umsatzanteil von 25,1 Prozent im selben Jahr die Unterhaltungselektronik als beliebtestes Konsumgut im Netz abgelöst. Es ist Druck im Kessel. Doch auch in der realen Handelswelt bläst den stationären Mittelständlern der Wind hart ins Gesicht. Die vertikalen Anbieter, allen voran die INDITEX-Gruppe, haben die Innenstädte längst erobert, während klassische Vertriebsformate wie die großen Kaufhäuser mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen haben.

Kleinere Modeläden geraten zusehends unter Druck. ©pixabay

Dass auch die Discounter ein Stück vom Kuchen haben wollen, macht die Sache nun auch nicht besser. Zu allem sorgen auch die Digitalisierung und soziale Medien mit dem Aufkommen neuer Konkurrenten wie amazon oder zalando für zusätzlichen Preiskampf – und auch für Brüche in den Konsumgewohnheiten der Deutschen, die vom stationären Handel nicht nur verdaut, sondern auch erst einmal ausgemacht werden müssen. Zu guter Letzt sinkt obendrein die Kundenfrequenz in den Innenstädten weiterhin. Der Griff zum Strick scheint allerdings verfrüht, denn Händler wie L&T, Minden, Garhammer, Feldkirchen, oder engelhorn in Mannheim zeigen, dass auch die schiere unfassbare Umsatzgröße zu schlagen ist. Und es halten sich auch neue Läden freier Händler, die nicht im Vorhinein als Investorenmodell mit schnellem Umsatzkauf ausgelegt sind. Die digitale Welt wächst zusehends mit der realen zu einer Einheit zusammen und es eröffnen sich für große und mittelständische Player gleichermaßen neue Perspektiven und Wachstumschancen.

Der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) hat zusammen mit hachmeister+partner, SCHUHE24/OUTFITS24 sowie hutter & unger in der aktuellen BTE-Marktstudie „Fashion Retail: Die Zukunft erfolgreich gestalten!“ für 2020 und darüber drei große Handlungsfelder ausgemacht, die speziell mittelständische Händler bewältigen müssen. Drei Trümpfe des Mittelstandes gewissermaßen, die stechen müssen: Multi-Channelling, die Belebung der Flächen und die richtige Kundenansprache, das Marketing. Für immer mehr Modehäuser gewinnt der Multikanalvertrieb an Bedeutung: Rund 25 Prozent der deutschen Fashion-Händler verkaufen über Online-Plattformen oder haben einen eigenen Webshop, weiß der BTE. „Dies ist im Branchenvergleich ein sehr hoher Wert. Und er steigt weiter an, da sich das stationäre Mode-Business derzeit schwertut und viele Unternehmen im dynamisch wachsenden Online-Handel einen Umsatzausgleich suchen“, schätzt Prof. Dr. Siegfried Jacobs vom BTE. Demnach wächst dabei die Bedeutung von Handelsunternehmen, die Online-Shops mit einer speziellen Sortimentsausrichtung betreiben. Der Verband listet Namen wie LODENFREY, HEMDEN-MEISTER und engelhorn als Beispiele auf. Erstaunlicherweise liegt laut Studie die Retourenquote der meisten Händler deutlich unter 50 Prozent „und damit oft unter jener von Branchengrößen wie OTTO, ABOUT YOU oder zalando“. Mehr als 20 Prozent der Händler wollen ihren Online-Verkauf auf Marktplätzen forcieren, 31 Prozent prüfen wenigstens den Verkauf über Plattformen. „Händler sind auf großen Marktplätzen austauschbar. Der Händler muss daher eine Strategie haben, was er online macht. Die Zahl, dass über 60 Prozent der Händler live sind oder es planen, zeigt, dass das Thema Online endlich im Fachhandel angekommen ist und umgesetzt wird“, sagt Dr. Dominik Benner, Geschäftsführer von OUTFITS24 und SCHUHE24, die inzwischen mehrere Internet-Plattformen für mittelständische Händler anbieten.

Mit Musik wird alles leichter. Der Unterhaltungsfaktor gewinnt im Modehandel an Bedeutung. ©pixabay

Angesichts sinkender Frequenzen müssen sich die Händler auch zusehends mit der Frage auseinandersetzen, wie Stimmung in die Bude kommt. Events und Unterhaltung sind das zweite große Feld, das der BTE ausgemacht hat. Der Einzelhandel müsse mehr als nur Verkauf bieten. „Wir sehen immer mehr, dass Modehäuser auf Gastro- und andere Service-Angebote setzen und ihre Kernsortimente um spannende Zusatzartikel ergänzen“, sagt Professor Jacobs. Laut Studie wird der Handel besonders auf die Aufnahme oder Stärkung von Gastronomie-Angeboten setzen, deren Zahl in diesem Jahr ein Rekordniveau erreichen soll. Auch die Kundenansprache durch selektive Events soll Publikum in die Geschäfte bringen. Für Uwe Seibicke, Partner und Gesellschafter von hachmeister+partner, ist dies eine neue Form der Kundenfokussierung: „Früher war das Sortiment wichtig, heute geht ein guter Händler ganz anders vor: Er bietet Entertainment, Gastro oder Events. Hier braucht man nicht 1.000 Quadratmeter, wie viele immer denken.“ Der Berater will nicht das Sortiment auf das Abstellgleis setzen. Auch nicht die Aufgabe der Händler, für ihre Kunden eine Auswahl an Marken und Produkten zusammenzustellen. „Natürlich bleibt beim Händler das Produkt der Resonanzboden für alle Aktivitäten. Aber das Sortiment allein wird nicht mehr reichen. Der Handel entwickelt sich zum Place to be. Händler wie L&T zeigen sehr schön, wie es funktioniert. Dabei geht es nicht so sehr um Größe und Finanzstärke – nicht jeder hat das Geld, im Laden eine stehende Welle zu installieren. Ein anderes Beispiel wären Gaming-Angebote in Verbindung mit Young Fashion. Auch die genannten Gastro-Services oder Musikevents fallen in diese Kategorie. Und Händler müssen auch nicht alles selbst machen, da bieten sich gerade für Mittelständler kooperative Modelle an, bei denen Flächen oder Events gemeinsam aus der Taufe gehoben werden.“

Wenn die Verbraucher in den Laden kämen, einfach weil sie Lust dazu hätten, habe man vieles richtig gemacht. „Gleichzeitig können auch soziale Medien auf regionaler wie auf lokaler Ebene ihren Teil dazu beitragen, wenn sie zur Kommunikation eingesetzt werden. Zudem können sich auch ganz neue Shop-Konzepte entwickeln. Tankstellen zum Beispiel haben früher nur Benzin und Öl verkauft. Dann kamen Convenience-Sortimente dazu und heute gibt es allein stehende Convenience Shops in den Fußgängerzonen“, sagt Seibicke.

Die Digitalisierung hat inzwischen alle Lebensbereiche der Deutschen erfasst. Mehr noch: War der Rechner am Schreibtisch das Tor zum Internet, nutzen die Menschen inzwischen Tablets und Smartphones für die Recherche und auch für Käufe. Der Handel reagiert. „Wir können deutlich erkennen, dass immer mehr Händler Marketing abseits von Inseraten machen. Digitale App-Lösungen, WhatsApp und kreative Postings gewinnen an Bedeutung, sind allerdings doch noch wenig verbreitet“, sagt Andreas Unger, Geschäftsführer von hutter & unger. Bisher verwenden laut der Studie 7 Prozent der Modehäuser in Deutschland automatisierte Marketing-Tools. Aber gut 40 Prozent wollen diese zeitnah einführen. Von einer Digitalisierungswut im Mittestand zu sprechen, wäre aber übertrieben. Bislang präsentieren sich nur 18 Prozent in digitalen Schaufenstern. Dafür sagen 39 Prozent, sie sähen hier keine Relevanz. Kanäle wie Snapchat (5 Prozent) und Pinterest (9 Prozent) werden noch weniger als YouTube mit 21 Prozent der Retailer als Media-Kanal genutzt. Auch Kundenkarten werden digital umgesetzt und vermehrt um Apps ergänzt. Dies mit dem Ziel, den Kunden aktiv zu Hause anzusprechen, Bonus-Angebote zu pushen und direkt in seinem Smartphone präsent zu sein. Bisher nutzen 9 Prozent der Modehändler eine solche Kunden-App, 22 Prozent wollen sie zeitnah einführen.

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Neue Marketing-Instrumente wie die Kooperation mit Influencern werden laut BTE von 20 Prozent der Händler genutzt. Andererseits geraten gerade die sozialen Medien in die Schlagzeilen im Zusammenhang mit Manipulation, Ausspähen von Kunden, Hasskommentaren bis hin zu Morddrohungen. Was, wenn sich die Nutzung solcher Kanäle/Medien auch gegen einen selbst richtet? „Am Anfang steht ja immer die Überlegung, welchen Kunden ich als Händler ansprechen will. Für manche ist die Präsenz in den sozialen Medien nicht relevant. Andere müssen rein, einfach weil ihre Kunden dort unterwegs sind. Es ist schwierig zu beantworten, welche die beste Strategie ist. Grundsätzlich steigt das Risiko, je mehr ich mich in den sozialen Medien bewege und Botschaften aussende. Daher braucht es hier eine sehr gut überlegte Strategie und anschließend klare Kommunikationsleitplanken für die Umsetzung. So oder so werden wir die Existenz solcher Medien und ihre Gesetzmäßigkeiten nicht mehr einfach ausblenden können”, antwortet Seibicke.

Dagegen erfreut sich der Kanal, der für die jungen Konsumenten schon zu alt ist, großer Beliebtheit: Bei Facebook sind mittlerweile 84 Händler der Handelsunternehmen, während Google AdWords immerhin von jedem zweiten Unternehmen genutzt wird. Der Verband sagt einen anhaltenden Shift der Marketingaktivitäten ins Digitale voraus: „Die Marketingaktivitäten haben sich bei den Modehäusern deutlich verändert: Vor fünf Jahren lagen sehr hohe Ausgaben noch im Printbereich, die nun in großen Teilen in den Online-Bereich gewandert sind“, sagt Professor Jacobs.

Mit den Umbrüchen im Handel verschiebt sich zwangsläufig auch die Aufgabenverteilung von Handel und Industrie. Welches Segment dabei beackert wird, dürfte dabei weniger eine Rolle spielen als vielmehr der Reifegrad der Distribution. „Innerhalb der letzten zehn Jahre hat die Digitalisierung alle Lebensbereiche erfasst und verändert. Das betrifft auch die Modebranche. Hier sehen wir einen fundamentalen Wandel im Kundenverhalten, was Information über und Kauf von Bekleidung angeht. Die rasante Verbreitung von Smartphones verstärkt dieses über die mobile Nutzung – überall und jederzeit. Alle Angebotsformen, die dieses Verhaltensmuster professionell bedienen, werden profitieren. Das heißt, Plattformen werden weiter zulegen, Mobile wird sich weiter ausbreiten, Kaufentscheidungen werden im Internet getroffen, Designtrends entstehen im Internet und Influencer werden den Modejournalismus weiter revolutionieren“, sagt Stephan Horst, Marketingleiter des Herforder Modelabels bugatti. „Zugleich erleben wir einen demografischen Wandel, der mittelfristig dazu führt, dass die sogenannten Digital Natives die Konsummehrheit darstellen und traditionelle Konsumenten beziehungsweise Digital Converts mehr und mehr ablösen. Deren Konsumverhaltensmuster sind digital geprägt.“ Da der Kunde ständig mit mehreren Geräten verbunden sei und sich nahtlos zwischen Offline- und Online-Kanälen bewege, rechne er einfach nicht mit Problemen bei Omnichannel-Interaktionen und -Entscheidern auf Basis von Preis, Nutzen oder Markenerlebnis. „Für Handel und Industrie bedeutet das Zusammenarbeit mit digitalen Plattformen, Innovation und schnelle Anpassungsfähigkeit, Kundenrelevanz durch Personalisierung, Aufbau von digitalem Talent und Mobile First für B2C und B2B“, sagt Horst.

Mark Bezner ist Geschäftsführender Gesellschafter des Hemdenspezialisten OLYMP, Bietigheim-Bissingen, der bekannt ist für seine konsequente Marketingstrategie. Auch Bezner spricht davon, dass die Digitalisierung die Wettbewerbssituation schlagartig verändert hat: „Güter und Dienstleistungen müssen nicht mehr nur einem lokalen Konkurrenzdruck standhalten, sondern einem globalen Vergleich. Umso wichtiger ist es daher, dass die individuellen Handlungen im Rahmen von Kommunikation und Interaktion gegenüber beziehungsweise mit dem Endverbraucher möglichst einträchtig gestaltet werden, damit die jeweiligen Maßnahmen wechselseitig voneinander profitieren. Wie in jeder guten Beziehung sind hier beide Seiten gleichermaßen gefordert. Unsere Partner im Fachhandel können sich seit jeher auf eine enorme Strahlkraft der Marke OLYMP, eine verlässliche Zusammenarbeit, eine hohe Partnerschaftsleistung und eine weitreichende Werbeunterstützung verlassen.“ Bezner ist klar, dass digitale Vertriebsformen unweigerlich weiter an Bedeutung gewinnen werden. „Alle Marktteilnehmer sind deshalb gefordert, sich den strategischen Ansatz der Multikanalstrategie verstärkt zunutze zu machen, um sich kundenorientiert und professionell zu behaupten und potenzielle Käufer über mehrere Kommunikations- und Vertriebswege gleichermaßen zu erreichen“, sagt Bezner. Dennoch ist sich der Unternehmer sicher, dass sich durchdachte Vertriebskonzepte immer durchsetzen werden – stationär wie online. „Entscheidend dafür ist allerdings, dass neben individueller Sortimentsgestaltung, attraktiver Warenpräsentation und Markeninszenierung die eindeutigen Vorzüge eines guten Fachgeschäfts wie qualifizierte Beratung, persönlicher Service sowie die besondere Einkaufsatmosphäre über die multisensorische Ansprache zielstrebig herausgestellt werden.“

Wenn aber der physische und digitale Handel zusammenwachsen, die digitale, aber dennoch mittelbare Interaktion generell an Bedeutung gewinnt, hat sich dann eine Unterscheidung, zumindest mit Blick darauf, wie die Ware zum Kunden kommt, erübrigt?

„Wir werden auch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Marke und Händler erleben, die sich aus der Digitalisierung ergeben, im Verkauf genauso wie in der Kommunikation.“ Uwe Seibicke, Partner und Gesellschafter von hachmeister+partner © hachmeister+partner

Berater Seibicke legt sich nicht fest: „So einfach lässt sich das nicht mehr beantworten. Es wird tatsächlich für den überwiegenden Teil des Marktes kein Entweder-oder mehr, sondern beides oder nichts. Wie die Ausprägungen, also ob mehr digital oder mehr stationär, ausfallen, hängt vom Händler selbst ab. Wir werden auch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Marke und Händler erleben, die sich aus der Digitalisierung ergeben, im Verkauf genauso wie in der Kommunikation. Erfolg hat nur, wer den Endkunden in den Mittelpunkt seiner Strategie stellt. Stichwort Customer Sharing.“ Seibicke verweist auch auf die handelnden Personen im Laden. Verkäufer müssten sich als Partner des Kunden verstehen, weniger als Angestellter des Händlers, zumindest, wenn es um den Umgang mit den Endkunden geht. „In der Wertschöpfungskette sind die Kernfunktionen des Händlers immer noch klar definiert: Interaktion mit dem Verbraucher. Andererseits entstehen neue Kontaktebenen der Marken zum Händler. Es gibt durchaus positive Beispiele wie etwa TOMMY HILFIGER, die es schaffen, als Marke attraktiv zu bleiben, und digitale Werkzeuge auf der Fläche und in der Kommunikation strategisch im Umgang mit ihren Endkunden einsetzen. Gleichzeitig gelingt es der Marke durch selektiven Vertrieb und die Attraktivität der Marke selbst, auch im Wholesale zu punkten“, führt Seibicke abschließend aus. (Lesen Sie in der kommenden Februar-Ausgabe das komplette Interview mit Seibicke zum Thema.)