„Die Kernaufgabe jedes Händlers“

Kundenansprache

©pixabay

Autor: Markus Oess
 

Liegen Händler mit ihrem Sortiment modisch daneben, lässt sich das korrigieren. Zumindest wenn die Erkenntnis darüber besteht und zum Handeln führt. Aber wie sieht es mit dem Rest des Ganzen aus? Worin mündet der digitale Umbruch? Was bringen die neuen digitalen Helfer wirklich? Wird es in kleinen und mittelständischen Städten noch Handel geben? Handelsexperte Uwe Seibicke, Partner bei der Beratungsgesellschaft hachmeister+partner, gibt Antworten.

WERBUNG

FT: Herr Seibicke, was wird vom klassischen stationären Händler noch übrig bleiben, welche neuen Aufgaben kommen auf ihn im Zuge der Digitalisierung und des Omnichannellings auch der großen Konkurrenz und der Marken hinzu?

„Nach der Relevanz und Struktur der Daten fragen.“ Uwe Seibicke, Partner und Gesellschafter von hachmeister+partner

Uwe Seibicke: „Es stimmt, der Fashion- und Lifestyle-Markt verändert sich weiter und damit ergeben sich neue Möglichkeiten und Formen für den Handel. Von zentraler Bedeutung ist es dabei, die Fokussierung auf den Verbraucher/den Kunden zu lenken. Im eigentlichen Sinne die Kernaufgabe jedes Händlers. Im Zeitalter der Digitalisierung stehen neue und wichtige Möglichkeiten zur Verfügung. Denken wir zum Beispiel an eine interaktive Kommunikation mit dem Kunden, die auf Erkenntnissen aus seinem Verhalten basiert. Dies ist möglich, wenn der Händler Kundentypen clustert und die Kommunikation darauf ausgerichtet ist. Dazu muss ich als Händler wissen, wo und auf welchem Kanal ich meinen Kunden treffe und welche Informationen wichtig sind. Es braucht einen durchgängigen Prozess in der Analyse der Kundendaten und daraus abgeleitete Marketingaktivitäten. Im Rahmen eines Loops sind die Ergebnisse zu analysieren, um daraus zu lernen, die Erwartungen des Kunden noch besser zu treffen. Um dies zu leisten, braucht es entsprechende Kompetenzen im Unternehmen oder Dienstleister, die dies ermöglichen. Darüber hinaus sind die Planungs- und Steuerungs-Prozesse anzupassen. Das bedeutet zum Beispiel, dass im Rahmen der Sortimentsplanung die Bedeutung der Marken nicht mehr nur anhand von warenwirtschaftlichen Kennzahlen beurteilt wird, sondern vielmehr auf Basis der Kundensicht. Wie wichtig ist Marke A für die Top-Kunden des Unternehmens und in welcher Marken-Kombination kaufen diese? Die Sortimentsbildung kann somit aus Kundensicht optimiert werden. In der Umsetzung werden auch die Flächen darauf ausgerichtet. Der Kunde findet somit sein relevantes Sortiment entsprechend kuratiert. Auch das Marketing nutzt diese Informationen, um den Kunden mit den auf ihn zugeschnittenen Informationen anzusprechen. In der Kombination aller Aktivitäten werden die Effizienz gesteigert und die Kundenwertschöpfung optimiert. In Verbindung mit dem persönlichen Zugang zum Kunden kann sich der Händler auch in Zukunft behaupten!“

Händler setzen inzwischen auch digitale Instrumente ein, um Erlebnisse und Entertainment zu bieten. Angefangen von Großbildschirmen über Kiosksystem, Internetanschluss bis hin zu Gastro- und Gamingangeboten, um die Verweildauer im Laden zu erhöhen. Wann kippt das Ganze, wird es beliebig?
„Es ist richtig, dass viele Unternehmen an diesen Themen arbeiten. Ziel ist es, die Aufenthaltsqualität zu steigern und zusätzliche Motivationen zum Besuch zu schaffen. Was hier richtig oder falsch ist, kann nicht schematisch beantwortet werden. Wichtig ist insbesondere, in diesen Themen authentisch zu sein. Aktivitäten und Leistungen müssen daher zum Unternehmen passen. Auch hier spielt der Kunde/Typ eine wesentliche Rolle. In den Konzepten sollte daher zunächst der Kunde/der Kundentyp bezüglich seines Verhaltens und seiner Erwartungen betrachtet werden. Nicht alles ist für jeden relevant und/oder attraktiv. Anhand unserer Erfahrungen zeigt sich, dass die Kunden dies durchaus honorieren. Weniger und gezielter ist dabei mehr als die pure Masse. Dinge und Aktionen, die begrenzt sind, erzeugen Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit. Wie viel Mittel eingesetzt werden, hängt auch hier vom Gesamtkonzept des Unternehmens ab. Muss aufgrund der Lage Frequenz geschaffen werden, sind die Aufwendungen in der Regel auch höher. Dafür sind andere Kostenpositionen, zum Beispiel die Miete, in der Regel niedriger.

Wirksamkeit lässt sich in diesen Themen nicht immer messen, aber die Maßnahmen zahlen auf die Marke ein. Bei einzelnen Aktionen ist es dennoch interessant, auf Basis der Kundendaten die Entwicklung des angesprochenen Kundentyps zu analysieren.“

„Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit sind nicht unbedingt neu. Es gab und gibt Unternehmen, die auf diese Blickwinkel geachtet haben. Neu sind in diesem Zusammenhang die öffentliche Wahrnehmung und die Fragen oder auch Forderungen.“

Welche Bedeutung werden dann noch die Kuratierung und die Beratung einnehmen können als „Urtugenden des Handels alter Prägung“?
„Die Kuratierung der Sortimente wird auch in Zukunft wichtig bleiben. Die Zusammenstellung sollte wie schon beschrieben aus Kundensicht erfolgen. Das steigert die Erfolgsaussichten und wird auch zu optimierten Verhältnismäßigkeiten in den Angebotsmengen führen. Dies bietet die Chance, Abschriften zu minimieren und den Ertrag zu steigern. Denn der Kunde findet das, was er erwartet!

Die Erwartungen an die Beratung sind schon heute je nach Kundentyp sehr unterschiedlich. Es gibt Kunden, für die persönliche Beratung sehr wichtig ist. Sie schätzen den Service und die Zusammenstellung durch kompetente Modeberaterinnen und -berater. In einem perfekten Szenario pflegt die Beraterin beziehungsweise der Berater den Kontakt zu den Top-Kunden selbst und informiert über neue Themen auf dem gewünschten Kanal von der Mail bis zum Anruf. Beim vereinbarten Besuch ist die Auswahl schon vorbereitet. Selbstverständlich werden die Kundschaft und deren Begleitung gastronomisch versorgt. Andere Käufer benötigen und erwarten diese Art von Service nicht. Sie setzen auf ein optimal gemerchandistes Sortiment, sodass sie sich schnell und einfach zurechtfinden. Dies trifft für online und offline zu.“

WERBUNG

Sie sagen, die Kernaufgaben des Handels seien definiert. Aber wie sollen der Mittelstand, Kleinfilialisten gegen die internationale finanzstarke Konkurrenz bestehen?
„Alle Aktivitäten, die sich in Richtung des Verbrauchers/Kunden bewegen, sind Kernaufgaben. Der lokale Händler ist dem Kunden bekannt und somit vertraut. Dies ist durchaus ein Bonus gegenüber dem anonymen Anbieter, gilt allerdings nicht für alle Marktsegmente, was der Erfolg von Unternehmen à la PRIMARK zeigt. Größe ist zwar ein Vorteil, aber auch nicht immer. Kleinere Unternehmen können wesentlich flexibler und schneller agieren. Sie sind näher am Kunden und können dieses Wissen schneller umsetzen. Individualität und Kreativität können die Differenzierung ausmachen. Nutzen diese Händler zusätzlich die Möglichkeiten der digitalen Tools, so haben sie gute Chancen, im Wettbewerb zu bestehen.“

Wie sieht es mit der Kommunikation aus? Digital ist ein Sinnbild für die Bewältigung vieler Daten. Der stationäre Handel steht eher für Eins-zu-eins-Beziehungen. Droht er nicht in der Datenflut der digitalen Welt zu ersaufen?
„Es ist richtig, dass die digitale Welt eine Datenflut auslöst. Umso wichtiger ist es, nach der Relevanz und Struktur der Daten zu fragen. Dies beginnt schon bei den Stammdaten. Diese müssen eindeutig und gepflegt sein. Im nächsten Schritt sollten die Daten strukturiert und segmentiert werden. Nur so ist es möglich, relevante Informationen zu erkennen und nutzbar zu machen. Dies ist nicht nur eine Frage von Tools, sondern vielmehr von Analysefähigkeit. Hier ist der Händler hin und wieder überfordert, da diese Tätigkeiten nicht gelernt sind und nicht permanent vorgehalten werden. Daher werden hierzu Dienstleister eingesetzt, um gemeinsam auf Basis der Analyse operative/konkrete Maßnahmen zu erarbeiten.“  

Größe ist zwar ein Vorteil, aber auch nicht immer.“ ©pixabay

Auf welche Neuentwicklungen können gerade stationäre Mittelständler hoffen, die auch noch handel- und bezahlbar sind?
„Um die Sortimente noch kundenorientierter zu gestalten, wird es notwendig werden, auch den Hersteller/die Marke in den Informationsfluss einzubeziehen. In diesem Thema liegt ein großes Potenzial für alle entlang der Wertschöpfungskette. Notwendige IT-Systeme stehen bereits zur Verfügung. Es erfordert allerdings ein Umdenken und die Bereitschaft, die Organisationen anzupassen. Dies ist ein echter Change-Prozess für Management und Mitarbeiter. Andere Branchen machen dies allerdings schon lange vor. Darüber hinaus ist dies notwendig, um Kapazitäten und Mittel in Richtung des Kunden umzuschichten und so notwendige Investitionen in attraktivitätssteigernde Maßnahmen zu ermöglichen.“

Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit sind ein Bedeutungspaar, das gern als großer Megatrend zitiert wird. Im Internet sind unendlich viele Informationen in schier grenzenloser Geschwindigkeit verfügbar. Nachrichten und solche, die es vermeintlich sind, breiten sich rasend aus. Wie sollte ein Händler mit diesen Themen umgehen, vor allem als Inverkehrbringer von Marken, auf die er nur bedingt bis gar nicht Einfluss hat, und diese in die Schlagzeilen geraten wie zum Beispiel Ausbeutung, Umweltskandale et cetera?
„Beide Punkte sind aufgrund der öffentlichen Diskussion in den Fokus gerückt. Diese zwei Aspekte sind allerdings nicht unbedingt neu. Es gab und gibt Unternehmen, die auf diese Blickwinkel geachtet haben. Neu sind in diesem Zusammenhang die öffentliche Wahrnehmung und die Fragen oder auch Forderungen. Es ist daher sicher sinnvoll, sich als Unternehmen diese Fragen zu stellen und im ersten Schritt den Status quo festzustellen. Im Abgleich zu einer individuell formulierten Haltung – oder sagen wir Verpflichtung – lässt sich dann daran arbeiten. Dies betrifft alle Bereiche des Unternehmens, von der Frage des Energiekonzepts bis hin zu der Auswahl der Produkte. Insbesondere im letzten Punkt stellen die Kunden heute als Erstes die Frage nach der Nachhaltigkeit. In Summe ist das Thema nicht mehr von der Agenda zu streichen. Aber es gilt, das richtige, verkraftbare Maß zu finden.“

Glauben Sie an das Überleben von kleineren Innenstädten als Orte des Einkaufs?
„Laut einer Studie des Immobilien-Spezialisten Jones Lang LaSalle von 2019 sind gerade kleine und mittelgroße Städte gefragt. Dies kann als Trend verstanden werden und als Ergebnis vieler Initiativen in diesen Städten. Es gibt Städte, denen es gelingt, die Attraktivität zu steigern. Das fängt mit dem zur Verfügung stehenden Parkraum an. Der Gesamtmix des Angebots stimmt in diesen Fällen, inklusive der Qualität der Geschäfte in Summe. Aber auch der Veranstaltungskalender spielt hier hinein. Da sind gerade kleinere und mittelgroße Städte flexibler. All diese Punkte sind allerdings alles andere als einfach zu realisieren und keineswegs selbstverständlich. Es braucht dazu das Zusammenspiel zwischen den Verwaltungen und den Händlern. Gelingt dies, so haben diese Standorte gute Chancen, im Wettbewerb zu bestehen.“

Der Interviewpartner
Uwe Seibicke ist Partner der Unternehmensberatung hachmeister+partner, Seibicke verfügt über 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Strategieberatung in Konsumgütermarkt und Handel.
Zu seinen Aufgabengebieten gehören unter anderem Change Management, strategische Geschäftsmodelle, Customer-Driven Retail, CRM-Strategie und -Modelle, Vertikalisierung sowie Category Management.