Autor: Andreas Grüter Szenenwechsel – für die Juniausgabe unserer „Auf ein Kaltgetränk mit …“-Rubrik wildern wir erstmals auf fremdem Terrain und haben uns statt mit einem Player aus der Modebranche mit Rembert Stiewe, dem umtriebigen Chef von GLITTERHOUSE RECORDS und Organisator des Orange Blossom Special Festivals, auf ein beziehungsweise mehrere Gläschen getroffen. Im Gespräch ging es um das Leben in der Provinz, um Holzgewehre, Skinny Jeans und explodierende Chemiebaukästen. Was bei Glitterhouse musikalisch so geht, können Sie übrigens monatlich in unserer „Gehört – Gekauft“-Kolumne nachlesen.
FT: Leute aus der Musikszene, so das Klischee, trinken gern und viel. Was kann ich dir anbieten und muss ich um meine Lagerbestände fürchten?
Rembert Stiewe: „Als passionierter Biertrinker, dem im Lockdown das Bier vom Fass wirklich gefehlt hat, würde ich mich für ein frisch gezapftes Pils entscheiden. Flaschenbier ist zwar auch okay, aber einfach nicht dasselbe. Und ja, ich befürchte, da musst du dich wirklich um deine Lagerbestände sorgen. Außerdem trinke ich gerne Ouzo als Shot und gegen milden irischen Whiskey habe ich auch nichts einzuwenden.“
Plattenlabelbetreiber und Festivalorganisator stand als Kind wahrscheinlich nicht auf deiner Berufswunschliste. Wie stellte sich der zwölfjährige Rembert seine Zukunft vor und ist der 57-jährige Rembert zufrieden damit, wie es gelaufen ist?
„Mit zwölf wäre ich gerne Fußballprofi geworden. Allerdings wollen das in dem Alter natürlich viele und so ist aus der Karriere dann doch nichts geworden. Aus irgendeinem Grund, den ich heute nicht mehr so richtig nachvollziehen kann, hatte ich zeitweise ein verstärktes Interesse an Chemie. Wahrscheinlich lag das an meinem Chemiebaukasten. Ich war jedenfalls ziemlich fasziniert von der Idee, irgendwas zum Explodieren zu bringen, und daraus hat sich dann die Idealvorstellung entwickelt, sowohl als Fußballprofi als auch als Chemiker beim damaligen Erstligisten und BAYER-Werksverein Bayer Uerdingen einzusteigen. Dabei hatte ich als eingefleischter Arminia-Bielefeld-Fan sonst nichts mit dem Verein zu tun. Schließlich trat die Musik als bestimmender Faktor in mein Leben und irgendwann habe ich dann das Hobby Musik zum Beruf gemacht.“
Du lebst seit jeher in Beverungen. Was hält dich in der Stadt und warum bist du nie dem Ruf der großen weiten Welt gefolgt?
„Ich bin in der Tat hier geboren und aufgewachsen und selbst während meines Studiums in Göttingen bin ich jeden Tag hin und her gependelt. Zu Zeiten meines Zivildienstes habe ich kurz in der Kreisstadt Höxter gewohnt, aber da hat es mir nicht besonders gefallen. Ich habe mich in Beverungen immer wohlgefühlt und bin in der Stadt auch sehr verwurzelt. Meine Familie wohnt hier, viele meiner Freunde auch, und für mich gab und gibt es eigentlich keinen Grund wegzuziehen. Natürlich habe ich mir früher oft gedacht, dass ein Label wie Glitterhouse nach Hamburg, nach Berlin oder meinetwegen auch nach Köln gehört, aber warum eigentlich? Wir brauchten ja nur eine billige Lagerfläche, billige Büroräume und ein Telefon. Irgendwann kam dann ein Fax dazu und später dann das Internet. Schwieriger war es, gutes Personal in die Provinz zu locken. Interessanterweise kommen aus dem kleinen Kaff Beverungen auch noch andere Player aus dem Indiemusik-Bereich. Christof Ellinghaus vom Berliner Label City Slang etwa oder Tom Reiss, der den La-Chunga-Musikverlag macht. Meiner Theorie nach entspringen aus der Provinz interessante Dinge, weil so wenig los ist und einem nichts anderes übrig bleibt, als entweder wegzuziehen oder selbst etwas zu starten. Klar hatte ich auch ab und an den Gedanken, mich nach Berlin abzusetzen – damit habe ich heute aber ziemlich abgeschlossen.“
Du bist Mitglied im lokalen Schützenverein. Überzeugungstäterschaft oder ein Zugeständnis ans Gemeindeleben?
„Tatsächlich beides, wobei es bei mir mit der Überzeugungstäterschaft ein wenig gedauert hat. Schützenverein riecht ja auch erst mal nach erzkonservativ und spießig und in meiner Branche gibt es bei der Erwähnung der Mitgliedschaft entsprechend viel Erklärungsbedarf. Der Beverunger Schützenverein ist allerdings extrem niederschwellig und versteht sich auch nicht als Elitekommando des Dorfes. Alle zwei Jahre stellen wir ein mordsgroßes dreitägiges Schützenfest auf die Beine und dabei habe ich diese ganzen Vereinstraditionen auch ein wenig lieb gewonnen. Als Außenstehender muss man bei den Uniformen natürlich erst mal schlucken, aber wenn man weiß, dass die ursprünglich aus der Französischen Revolution stammen, relativiert sich da auch wieder vieles. Na, und dann läuft man mit einem Holzgewehr durch den Ort, in dem oben eine Blume steckt. Viel friedfertiger gehts ja kaum noch. Ich verstehe, wenn Leute dafür kein Verständnis aufbringen, aber ich habe damit meinen Frieden gemacht und mir macht es Freude, mich bei den Beverunger Schützen zu engagieren. Hinzu kommt, dass ein guter Teil unserer Einnahmen gespendet wird. Gelder fließen an Kindergärten, und vor einigen Jahren haben wir beispielsweise eine Chronik der Stadt damit finanziert. Und mal Hand aufs Herz, was gibt es Bizarreres, als in einer kleinen 7.500-Seelen-Ortschaft zu leben, in der ein König und eine Königin mit einer Kutsche durch die Stadt fahren? Eigentlich kann man das ja nur gut finden.“
Lass uns über Mode sprechen. Wie würdest du deinen Style beschreiben? Was ist dir wichtig, was unwichtig?
„Mein Style, wenn man da überhaupt von einem Style sprechen kann, ist alles andere als glamourös. Ich lauf fast immer in Jeans und schwarzem T-Shirt rum. Ich habe zudem ein Faible für schwarze, kurzärmelige Pilotenhemden, die allerdings schwierig aufzutreiben sind. Außerdem trage ich eine große Brille, ein Ray-Ban-Sonnenbrillengestell mit optischen Gläsern. Und als Schuhwerk kommen dann Chucks und Vans zum Einsatz. Du siehst, alles sehr basic und zum Glück brauche ich auch in meinem Job kaum etwas anderes. Ich muss mich selten verkleiden. Früher habe ich wechselnd mit meinen musikalischen Vorlieben meinen Style geändert. In den Anfangszeiten von GLITTERHOUSE haben wir ziemlich viel 60s-Garage-Bands herausgebracht und da habe ich natürlich Chelsea Boots und Paisleyhemden getragen. Heutzutage inszeniere ich mich nicht mehr durch Mode. Ich finde es nicht schlimm, wenn Leute das machen, weil es ja häufig auch ein gutes Statement ist, aber ich bin da heute raus. Allerdings benutze ich nach wie vor ein spezielles, wenig glänzendes Haargel und von meinen Ohrringen konnte ich mich auch noch nicht trennen …“
Drei Dinge, die in deinem Kleiderschrank nicht fehlen dürfen …
„Schwarze Pilotenhemden, schwarze Shirts und Basic Jeans, die auf keinen Fall skinny geschnitten sein sollten.“
Drei Dinge, die in deinem Kleiderschrank niemals einen Platz finden werden …
„Skinny Jeans, Muscle Shirts und grobe Norwegerpullover. Die kratzen und gehen optisch auch gar nicht.“
Ich weiß, Rauchen ist ungesund, aber …
„… es schmeckt mir einfach zu gut und ich bin für Süchte ein leichtes Opfer.“
Deine Tipps für Besucher der Region Ostwestfalen …
„Besucher sollten sich auf keinen Fall den Weser-Skywalk an den Hannoverschen Klippen entgehen lassen. Ein Muss ist auch das Hermannsdenkmal, das man ja noch aus der Schule kennt. Ein monumentaler Klotz, den man als Kind beeindruckend und als Erwachsener ob seiner militaristischen und obrigkeitshörigen Aura eher fragwürdig findet. Zum Anschauen aber trotzdem spannend. Und dann empfehle ich, das Oberweseler Bergland als solches ein bisschen zu erforschen. Wir haben keine Alpen und die Weser ist auch nicht so breit wie der Rhein, aber man kann hier wirklich wunderbar idyllische Ecken finden.“
Hiervon könnte ich mich nie trennen …
„Von meiner Frau.“
Deine musikalischen Guilty Pleasures?
„Ha, wie viele willst du hören? Okay, ich beschränke mich auf drei. Als Erstes wäre da Alcazar mit ‚Crying at the Discoteque‘, gefolgt von Kim Carnes mit ‚Bette Davis Eyes‘, und mit dem Gesamtwerk von Miley Cyrus runde ich das Œuvre ab.“