Marissa Nadler – The Path of the Clouds

GEHÖRT – GEKAUFT

Eine deutlich größere Klangvielfalt und -fülle ©Bella Union

Autor: QK

In elf sehr persönlichen, selbst produzierten Songs erkundet Marissa neue Landschaften sowohl klanglich als auch emotional – mit Texten, die sich um Metamorphosen, Liebe, Mystik, Crime Stories und düstere Mordgedanken ranken. Obwohl sie schon immer eine brillante Gitarristin war, hat sich die US-Amerikanerin für „The Path of the Clouds“ selber herausgefordert, ihre Palette um das Klavierspielen zu erweitern und mit synthetischen Texturen zu experimentieren, die das Album mit seinen melodisch ausgefeilten Arrangements von Zeit und Raum losgelöst erscheinen lassen. Ohne den ätherischen Hall, der ihre resonante Stimme oft umhüllt, ist Nadlers Gesang stachelig und durchdringend, mit neuer Unmittelbarkeit und Zuversicht, losgelöst vom sparsamen Dream Folk ihrer früheren Arbeiten.

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Das, was in den letzten Alben ab und zu angedeutet wurde, setzt sich verstärkt fort: eine deutlich größere Klangvielfalt (und -fülle), die schon mal bis zur dezenten Orchestrierung reicht (neben akustischer und elektrischer Gitarre wirkt eine Vielzahl von Tasten mit Orgel, Synthie, Mellotron, Piano/E-Piano, Omnichord – daneben zum Beispiel Harfe, Klarinette, Flöte, weitere Bläser, Dobro. Punktgenau respektive punktuell eingesetzt, musikdienlich zu jeder Zeit und ausgesprochen effektiv. Manchmal höre ich gewisse Parallelen zu This Mortal Coil beziehungsweise den Cocteau Twins (tatsächlich spielt deren Simon Raymonde eine größere Rolle; im Weiteren wirken unter anderen mit: Emma Ruth Rundle, Leute von Black Mountain, Mercury Rev), jedoch einerseits vielschichtiger, andererseits tendenziell „leichter“, zarter. Anderswo wird sie dem ihr gern attestierten „Gothic Folk“-Label gerecht (mehrfach) oder sie bewegt sich irgendwo an der Schnittstelle von Songwriter-(Indie-)Pop und Folk, Rock-Spuren tauchen sporadisch auf, eine kleine Prise Leonard Cohen, so etwas wie Gothic Wave Pop (im Hallmeer versinkend, generell jedoch, auch da hat sich etwas verändert, wurde der Hallanteil verringert). Elegische Tendenzen, faszinierende dunklere Stimmungen, starke melodische Reize, edel und mächtig, geschmackvoll anmutende Phasen, hier ein lazy Groove, dort verzerrte bis sägende Gitarren, eine leicht schwebende Atmosphäre, ausgesprochen zartfühlende Momente, gar eine gewisse Ähnlichkeit zu den ruhigen/balladesken Pink Floyd der ersten Hälfte der 1970er. Und ihr so ungemein reizvoller, gelegentlich sinnlicher Gesang ist eh über jeden Zweifel erhaben. Sehr schönes Album. (Detlev von Duhn)

CD/LP im Glitter Shop kaufen (16,95 Euro/26,95 Euro)

The Daptone Super Soul Revue – The Daptone Super Soul Revue

Ein Album wie eine ausgelassene Sylvesterparty. Würdiger Release zum 20. Geburtstag von Daptone Records: Doppel-CD und Triple-Vinyl mit 48-seitigem Booklet, dazu alle Label-Größen der älteren Generation auf der Bühne des legendären Apollo Theater in Harlem, aufgenommen an drei gloriosen Abenden im Jahr 2014. Denn mittlerweile sind die beiden größten Daptone-Stars ja leider verstorben. Hier haben Sharon Jones und Charles Bradley aber noch mal die Bühne für sich und überzeugen mit schwer zu Herzen gehenden Klassikern. Jones bekommt gleich neun Songs, Bradley immerhin sieben. Die restlichen der insgesamt 32 Nummern verteilen sich auf die Genres Soul (Saun & Starr) und Gospel (Como Mamas, Naomi Shelton auch bereits verstorben, wie ich hier leider lesen muss). Aber auch die coolen Bandformate werden hier ausgiebig repräsentiert: Neben den famosen Dap-Kings auch Antibalas, The Budos Band, Menahan Street Band und The Sugarman Three.

Ein Album wie eine ausgelassene Sylvesterparty. Sharon Jones Dapkings ©Jacob Blickenstaff

Host Binky Griptide eröffnet mit warmen Worten („It’s a Celebration!“) die klassische Soul and Funk Revue, die sich klar an James-Brown-Inszenierungen orientiert. Großes Showmanship also für ein zu Recht enthusiastisches Publikum im schwarzen Herzen New Yorks. Die große Sharon Jones („I’m On Fire Tonight“) und vor allem Charles Bradley überzeugen mit emotionalen Performances, da darf man schon wehmütig werden. Insgesamt eine rundum würdige Veranstaltung mit dem Besten, was US-Soul in den letzten 20 Jahren zu bieten hatte. In perfekt organischem Bühnensound gewohnt makellos produziert. Echte Menschen mit beseelter Musik, Groove, Schweiß und Emotion – da wäre man doch gerne dabei gewesen. Zum Finale covert Sharon Jones dann noch Gladys Knight („Every Beat of My Heart“) und mit den wahrlich entfesselten Daptones James Browns „There Was a Time“ als explosiven Hochgeschwindigkeits-Funk – eine Sternstunde. (Joe Whirlypop)

Doppel-CD im Glitter Shop kaufen (21,95 Euro)

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Endless Boogie – Admonitions

Noch ein Album für die Sylvesterparty – wenns überschäumend, aber cool rocken soll. Das souveräne Highlight im ohnehin schon grandiosen Œuvre der New Yorker Jam-Band. Hier wird erneut stoisch geboogierockt, mit zwei bis drei Gitarren im Endlos-Gniedel-Modus. Aber diesmal meistens mit sattem Drive, Tempo, Power. Schon der Opener „The Offender“ ist ein 22-minütiges Monster mit stoischem, minimal variiertem Basisriff, darüber zwei weitere sich umspielende Gitarren, wie wenn der „Free Bird“-Showdown ins Endlose verlängert würde. Mit staubtrockener ZZ-Top-Infusion und vermutlich auch ein paar weichen Drogen im Spiel. Wegen mir dürfte das auch weit länger als gute 20 Minuten dauern, ich könnte endlos zuhören. Es folgen zwei kernige Fünfminüter mit sattem erdigen Geriffe in schönster CCR-Tradition. Das neunminütige „Counterfeiter“ (mit Gast Kurt Vile) hat wieder so ein lässiges, elegantes, psychedelisches Grundriff zu bieten, in mittlerem Tempo und dosiertem Drive. Dazu dann minutenlange Gitarrenlinien, perlend, fließend, wunderbar.

Die Musik ist tief in den späten 1960ern und frühen 1970ern verwurzelt. ©Endless Boogie

Die Musik ist tief in den späten 1960ern und frühen 1970ern verwurzelt. Einflüsse von Grateful Dead, Captain Beefheart und Quicksilver Messenger Service sind erkennbar, aber auch Canned Heat und natürlich John Lee Hooker mit seinem „Endless Boogie“-Album. Alles Überflüssige wird weggelassen. Song Nummer fünf dehnt das bewährte Prinzip auf 23 Minuten und es funktioniert erneut ganz mühelos. Der Groove ist diesmal zunächst untertourig, stoisch und träge. Man lässt sich Zeit, dehnt die Töne und dennoch hebt die Musik nach atmosphärischen zwölf Minuten unwiderstehlich ab. Abschließend gibt es dann noch zwei Downtempo-Solitäre, fast schon an die großen Earth erinnernd. Ich kann mich täuschen, aber dieses Album hätten vermutlich auch die inzwischen stilistisch im Nirgendwo verlorenen King Gizzard gerne hinbekommen. Das fünfte „Endless Boogie“-Album ist ein großer Wurf von monolithischer Größe (83 Minuten) und Schönheit. (Joe Whirlypop)

CD/LP im Glitter Shop kaufen (13,95 Euro/26,95 Euro)