Im Osten nichts Neues

Russland-Krieg

Der Verkauf nach Russland wurde eingestellt und an den ukrainischen Fertigungspartnern hält man fest, so gut es eben geht. Was bleibt auch anderes übrig? ©pixabay

Autor: Markus Oess
Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Weltordnung auf den Kopf gestellt. Wie umgehen mit einem Land, das von einem Mann regiert wird, den Tod und Elend nicht abhalten, Ansprüche einer alten Großmacht mit ebenso alten Mitteln durchzusetzen: Krieg? Was wird mit der Ukraine, einem Land, das vom Westen bei seiner Selbstverteidigung massiv unterstützt wird und das gegen einen mächtigen Feind im eigenen Land kämpfen muss? Ein baldiges Ende des Krieges, eine Rückkehr zur Normalität gar, ist nicht in Sicht. Die deutschen Mode-Marken, die von dem Krieg unmittelbar betroffen sind, weil sie dorthin verkaufen oder in der Ukraine produzieren lassen, mussten sich arrangieren. Der Verkauf nach Russland wurde eingestellt und an den ukrainischen Fertigungspartnern hält man fest, so gut es eben geht. Was bleibt auch anderes übrig?

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Das mit dem Boykott Russlands hat ganz offensichtlich zumindest in den ersten Monaten seit dem russischen Überfall nicht so funktioniert wie erhofft. Im ersten Halbjahr 2022 zogen die Importe, vor allem wegen explodierender Gas- und Ölpreise, um 51 Prozent auf 22 Milliarden Euro an, obwohl es mengenmäßig um 24 Prozent abwärts ging, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Umgekehrt brachen die deutschen Exporte nach Russland um 34 Prozent auf 8,3 Milliarden Euro ein. Auch für so manche deutsche Modemarke war und ist Russland kein ganz unbedeutender Markt und die Ukraine ein relevanter Produktionsstandort.

„Wir denken, dass die Ukraine ein Produktionsland bleiben wird. Sollte es zu weiteren Ausfällen kommen, ist eine Umverteilung auf andere Produktionsstätten in anderen Ländern möglich.“ Marc Freyberg, Geschäftsführer und Sprecher bei BRAX ©BRAX

Wir produzieren in der Ukraine hauptsächlich Menswear-Hosen, überwiegend Non-Denims“, sagt Marc Freyberg, Geschäftsführer und Sprecher bei BRAX. Vor Kriegsausbruch kam jede sechste Hose aus der Ukraine. Nun ist das anders: „Die Produktion in der Ukraine läuft zu gut 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent haben wir in andere Produktionsländer verlagert. Die Ein- und Ausfuhr funktioniert momentan“, berichtet Freyberg. „Wir denken, dass die Ukraine ein Produktionsland bleiben wird. Sollte es zu weiteren Ausfällen kommen, ist eine Umverteilung auf andere Produktionsstätten in anderen Ländern möglich“, erklärt der BRAX-Chef weiter. Auch als Absatzland habe die Ukraine nach wie vor eine Bedeutung, sagt Freyberg. Und es habe eine ukrainische Storekundin trotz des Krieges sogar während der Fashion Days zur Order den Weg nach Düsseldorf geschafft.

BRAX ist in Ländern wie Polen, Rumänien, Tschechien oder der Slowakei aktiv, allerdings „sind unsere Aktivitäten in diesen Absatzmärkten noch ausbaufähig“, sagt der BRAX-Chef weiter. Und Russland? „Wir haben uns bei BRAX dafür entschieden, Russland nicht mehr zu beliefern, solange der Ukraine-Konflikt andauert. Als Familienunternehmen ist dies eine Frage der Haltung. Wir können nicht auf der einen Seite die Mitarbeiter in der Ukraine, die für uns ein wichtiges Produktionsland ist, unterstützen und auf der anderen Seite die Geschäfte in Russland weiterführen. Diese Entscheidung haben wir aufgrund der politischen Situation getroffen, sie hat nichts mit den in Russland lebenden Menschen zu tun. Darüber herrscht im Unternehmen große Einigkeit“, betont Freyberg.

Ein Stück Normalität und  Sicherheit 

Wir stehen zur Ukraine damals wie heute.“ Ralph Böhm, Geschäftsführer Création Gross ©Création Gross

Ganz ähnlich stellt sich die Situation bei Création Gross dar. Ralph Böhm, Geschäftsführer in Hersbruck, setzt auch in Zukunft auf die Ukraine als Produktionsland und hat dafür den Fertigungsbetrieb finanziell beim Kauf einer Pelletheizung unterstützt. Die Hersbrucker lassen in der Ukraine GOTS-zertifizierte Anzüge, Sakkos und Westen fertigen. Der Produzent war bereits vor dem Krieg zertifiziert. Glücklicherweise liegt der Betrieb nur 15 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt, dennoch musste ein neuer Logistikdienstleister gefunden werden, der die Transporte von Rohware ins und der fertigen Teile aus dem Land übernahm. Böhm wurde in Ungarn fündig. Seither laufe alles reibungslos, die Kapazitätsversorgung liege bei 100 Prozent, betont Böhm gegenüber FT. Es gehe schließlich auch darum, so etwas wie Normalität und Sicherheit für den Betrieb und seine Angestellten zu geben. „Wir stehen zur Ukraine damals wie heute“, betont Böhm. Die Hersbrucker beliefern aktuell 13 Kunden in dem Land. Es waren einmal 15. Ein Laden wurde zerbombt, ein anderer Händler zog von sich aus die Reißleine. Création Gross hatte auch nach Russland verkauft, aber die Belieferung seit Kriegsbeginn eingestellt. Den russischen Überfall könne man nicht hinnehmen, auch wenn die russischen Kunden natürlich nichts dafür könnten. Bleiben in Osteuropa als wichtiger Absatzmarkt noch Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn sowie der Balkan mit Kroatien, Serbien wie auch Bosnien und Herzegowina.

Russland genauer betrachten

„In solchen Situationen ist es immer gut, nach alternativen Absatzmärkten zu suchen. Hier sind die USA in den Fokus der Hersteller gerückt mit einem Exportzuwachs von rund 75 Prozent.“ Thomas Lange, Hauptgeschäftsführer GermanFashion ©GermanFashion

Für Thomas Lange, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes GermanFashion, ist Russland ein Thema, dessen Bedeutung für den Export genauer betrachtet werden müsse, wie er sagt. „Wenn wir auf die Zahlen gucken, liegt Russland als Exportmarkt absatzseitig an 13. Stelle und damit hinter Ländern wie Schweden und der Slowakei. Es hat also generell eine kleine Bedeutung für den deutschen Export mit Bekleidung. Das muss man allerdings stark relativieren. Es gibt da unheimliche Unterschiede innerhalb der Branche. Ganz viele Unternehmen bewegen sich, was den Umsatzanteil des Geschäfts mit russischen Kunden angeht, im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Aber dann gibt es einige, die gut und gerne bei 15 bis 20 Prozent liegen. Das sind dann vor allem Firmen der hochwertigen Damenmode. Sie werden mit beträchtlichen Konsequenzen umgehen müssen“, führt Lange aus. „Für viele Agenturen, die gute Kontakte zu Russland haben und die Produkte dorthin vertreiben, kann die Situation sogar existenzbedrohend werden. Im ersten Halbjahr 2022 liegt eine Umsatzverschlechterung von knapp 20 Prozent vor. Das ist quer über alle Unternehmen ein massiver Rückgang.“

Lange rechnet genauso wenig mit einem baldigen Ende des Krieges. „In solchen Situationen ist es immer gut, nach alternativen Absatzmärkten zu suchen. Hier sind die USA in den Fokus der Hersteller gerückt mit einem Exportzuwachs von rund 75 Prozent“, sagt Lange. Die Ukraine schafft es nicht unter die Top 25 der Produktionsländer. Aber es gibt einige Unternehmen, zum Beispiel für Berufsbekleidung, die sehr stark auf den Produktionsstandort Ukraine gesetzt haben. „Auch für die ist diese Situation jetzt mehr als herausfordernd“, sagt Lange. Ob Polen, Rumänien, Tschechien oder die Slowakei zumindest perspektivisch etwas auffangen können, was Produktion und/oder Absatz angeht, bleibe möglich, allerdings, so der Verbands-Chef, könne die Produktion durch Kapazitätenmangel in Osteuropa nicht so hochgefahren werden, wie die Hersteller, die etwa in der Ukraine produziert haben und aufgrund der Lieferproblematik in China, es gern hätten. Und: „Die Produktionsländer Türkei, Tunesien und Marokko verzeichnen eine deutliche Zunahme der Produktion. Als Exportmärkte setzen die Hersteller neben den USA vermehrt auf vertraute europäische Märkte wie Österreich, Frankreich, Schweden und die Niederlande, sagt Lange. Der Anstieg im Export etwa nach Rumänien müsse indes mit Vorsicht gesehen werden, es könne durchaus sein, dass zwar nach Rumänien exportiert werde, aber um zu produzieren. Lange vermutet, dass beides der Fall ist.

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Schon kurz nach dem russischen Angriff, als erste Lieferstopps angekündigt wurden, war klar, dass natürlich nicht alle Firmen gleichermaßen von den Sanktionen gegen Russland oder möglichen beziehungsweise tatsächlichen Produktionsausfällen in der Ukraine betroffen sind. Alternativen tun sich nicht eben von heute auf morgen auf.

Ungewisse Zukunft 

„Der russische Angriff auf die Ukraine hat uns alle in eine schwierige Situation versetzt. Wir wissen nicht, was die Zukunft noch bringen wird.“ Philippe Celeny, Sales Director Digel AG ©DIGEL AG

„Der russische Angriff auf die Ukraine hat uns alle in eine schwierige Situation versetzt. Wir wissen nicht, was die Zukunft noch bringen wird. Keiner will den Krieg! Ich hoffe, dass wir in der näheren Zukunft wieder über Frieden und Wiederaufbau sprechen können. Unsere Gedanken drehen sich aber eher um die Menschen in der Ukraine. Unser Osteuropa-Team betreut auch andere Märkte, sodass wir operativ in der Region verlagert haben. Wir haben außerdem den Vorteil, in 52 Ländern vertreten zu sein, und de facto werden wir den Umsatzrückgang von Russland durch Wachstum in anderen geografischen Bereichen ausgleichen“, sagte zuletzt Philippe Celeny, Group Sales Director der DIGEL AG im FT-Interview. Anderes bleibt auch gar nicht übrig. Der russische Angriff hat die Weltordnung auf den Kopf gestellt. Und das Kalkül über Handel und wirtschaftliche Verflechtung für internationale Stabilität und Sicherheit scheint nicht aufzugehen. Denn auch dann müssten alle mitspielen. Überwiegen die Interessen weniger Mächtiger, wie im Falle Russlands oder Chinas, zeigt sich, wie fragil die viel beschworene Weltgemeinschaft tatsächlich ist. Und es ist auch nicht lange her, als in Washington internationale Verträge wenig galten.

Die GERMANY TRADE & INVEST – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH, seit dem 1. Januar 2009 Nachfolgerin der Bundesagentur für Außenwirtschaft, ist eine GmbH, die komplett im Eigentum des Bundes ist. Die Gesellschaft hat auch lesenswerte Dossiers über Russland und die Ukraine erstellt, die Sie hier und hier abrufen können. Außerdem gibt es hier eine Sonderseite zu dem Krieg in der Ukraine.

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