Fair geht vor

Inklusion bei VEJA

Die Umsätze von VEJA sind längst im dreistelligen Millionenbereich angekommen – Tendenz steigend. ©Ludovic Balay

Autorin: Katja Vaders
Die nachhaltige Turnschuhbrand VEJA macht so einiges richtig: Neben der Verwendung von ökologischen Materialien für ihre Produkte und der Unterstützung von Agrarkollektiven in Südamerika haben sich die Franzosen soziale Verantwortung auf die Fahnen geschrieben, auch in Europa: Das Sneakerlabel arbeitet mit dem französischen Integrationsprojekt „Log’ins“ zusammen, das seinen Vertrieb und E-Commerce abhandelt – und in dem ausschließlich Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigt sind.

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Die Geschichte zur Gründung von VEJA liest sich wie der Anfang einer Investigativ-Reportage: Die seinerzeit 25-jährigen Franzosen Sébastien Kopp und François-Ghislain Morillion besuchten im Jahr 2003 eine Textilfabrik in China, um dort das Sozialaudit für ein französisches Fashionlabel zu begleiten. Auf den ersten Blick schienen die Produktion und die Arbeitsbedingungen gut zu sein – bis sich die Audit-Gruppe die Quartiere der Arbeiterinnen und Arbeiter zeigen ließen. Was sie dort erwartete, verursachte einen Schock: Sie fanden 32 Menschen eingepfercht in einen 25-Quadratmeter-Raum vor, die in fünfstöckigen Etagenbetten schliefen; in der Mitte der Behausung war ein Loch, das gleichzeitig als Dusche und Toilette fungierte. An dem Tag begriffen die späteren VEJA-Gründer, dass mit der Globalisierung etwas gehörig schiefläuft – und sie beschlossen, es besser zu machen.

Die Geschäftsidee: faire Sneaker herzustellen, einer der wichtigsten Fashion Items ihrer Generation.

©Antoine Huot

Bei ihrer Gründung im Jahr 2004 stand nicht nur der Wunsch im Fokus, bei der Produktion ausschließlich ökologische Materialien zu verarbeiten. Kopp und Morillion wollten mit ihrer Turnschuhmarke vielmehr das Konsumverhalten in der westlichen Welt verändern, indem sie ihrer Kundschaft ihre komplette Lieferkette offenlegten. Das Fundament von VEJA ist also Nachhaltigkeit, und zwar auf allen Ebenen des Herstellungsprozesses bis hin zum Vertrieb. Ihre Sneaker bestehen dementsprechend aus Bio-Baumwolle oder -Canvas, pflanzlich gegerbtem Leder und natürlichem Kautschuk aus einem fairen Agrarkollektiv in Amazonien. Das Mesh-Gewebe wird aus recycelten PET-Flaschen hergestellt, das verwendete Leder chromfrei und pflanzlich gegerbt. Und: VEJA-Schuhe werden in einer brasilianischen Fabrik der International Labour Organization hergestellt, die für ihre hohen Standards bekannt ist.

All das führt dazu, dass die Herstellung eines Paars VEJA-Sneaker fünfmal so teuer ist wie die eines konventionellen Turnschuhs. Dass ihre Schuhe dennoch teilweise immer noch günstiger sind als die von Marken wie Nike oder adidas, liegt vor allem daran, dass VEJA komplett auf Werbung und Marketing verzichtet und das Geld lieber da investiert, wo es wirklich gebraucht wird: in einer nachvollziehbaren und für alle Beteiligten fairen Lieferkette. Zu der gehört für die Franzosen auch ein Bekenntnis zur sozialen Verantwortlichkeit, und zwar im eigenen Land. Was den Vertrieb und den E-Commerce in Europa angeht, hat sich das Unternehmen nämlich ebenfalls für nachhaltiges Handeln entschieden. Die komplette Logistik des französischen Labels wird von dem Sozialprojekt Log’ins Warehouse abgewickelt, das auf berufliche und soziale Inklusion spezialisiert ist und in dem ausschließlich Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigt sind. Schon bei der Firmengründung 2004 arbeitete VEJA für seinen Vertrieb mit dem inklusiven Projekt Ateliers Sans Frontières (ASF) zusammen, eine 2003 gegründete Eingliederungswerkstatt für Menschen aus prekären Verhältnissen, mit gravierenden Problemlagen und Langzeitarbeitslose. Das Konzept der Initiative: Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch regelmäßige Arbeit. Und das geht auf; in der 15 Jahre währenden Kooperation mit VEJA waren im Vertrieb der französischen Turnschuhmarke insgesamt 275 Menschen beschäftigt, die sich innerhalb des Projekts stabilisieren konnten.

Konsumverhalten in der westlichen Welt verändern

Starkes Wachstum ©Antoine Huot

Allerdings ist VEJA in den letzten Jahren so stark gewachsen, dass das Lagerhaus von ASF mit seinen Kapazitäten, einem immerhin 2.000 Quadratmeter großen Lager, an seine Grenzen stieß. Da die NGO also nicht gemeinsam mit VEJA wachsen konnte, beschloss das französische Label, ein neues Logistiklager bei Log’ins (Logistics & Insertion) einzurichten. Die Organisation arbeitet mit Menschen mit Beeinträchtigungen und kümmert sich vor allem um ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Hierzu stellt Log’ins seinen Mitarbeitenden einen sicheren, ihren Bedürfnissen angepassten Arbeitsplatz innerhalb von Integrationsprogrammen der Logistikabteilung von VEJA zur Verfügung. Etwa acht Betreuer und fünf Hilfskräfte unterstützen die Menschen mit Beeinträchtigungen, indem sie ihnen Praktika und Schulungen vermitteln, um ihnen dabei zu helfen, ihren Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Seit fast zwei Jahren schon bearbeitet Log’ins alle Online-Bestellungen und die Logistik der vier europäischen VEJA-Flagship-Stores. In dieser Zeit haben insgesamt 438 Personen mithilfe des Projekts einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefunden.

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Im Jahr 2022 unterstützte das Integrationsprogramm insgesamt 200 Menschen mit Behinderungen; 90 Prozent dieser Arbeitnehmer hatten beim Start ins Projekt gesundheitliche Probleme, 25 Prozent keine Wohnung und 40 Prozent waren seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Log’ins hilft den meisten von ihnen dabei, wieder einen Fokus in ihrem Leben zu finden, mehr Selbstvertrauen aufzubauen und einen Weg (zurück) ins Berufsleben zu finden.

Die Franzosen sehen alle ihre Projekte als „Work in Progress“. ©Antoine Huot

Ein weiteres VEJA-Projekt innerhalb von Log’ins ist eine mobile Schuhwerkstatt in einem Container, die von einem erfahrenen Schuhmacher geleitet wird, der die Mitarbeitenden anleitet. Ziel ist es, umgetauschte Ware von VEJA-Kundinnen und -Kunden mit minimalen Mängeln zu reparieren und dann zu verkaufen. Dazu gehören Reinigung, Kleben und Nähen der Sneaker sowie kleinere Reparaturen an den Ösen oder den Sohlen der Schuhe. Seit Beginn des Projekts wurden hier über 15.000 Paar Sneaker wieder tragbar gemacht. Turnschuhe, die nicht mehr repariert werden können, gehen ins Recycling.

Im Juni 2020 startete VEJA sein erstes Reparaturprojekt in Bordeaux, neben der mobilen Schuhwerkstatt im Log’ins Warehouse gibt es noch drei weitere Werkstätten in den VEJA Stores in Madrid und Berlin sowie in der Galeries Lafayette in Paris. Mal sehen, was sich VEJA als Nächstes ausdenkt, um seiner Vision einer komplett nachhaltigen Brand noch näher zu kommen. Die Franzosen sind durchaus selbstkritisch und sehen alle ihre Projekte als „Work in Progress“. Vorbildlich ist in diesem Zusammenhang die Transparenz der Marke. So führt VEJA beispielsweise jährlich Studien durch, um die eigenen CO2-Emissionen zu untersuchen – und zwar der gesamten Lieferkette bis hin zum Transport der Turnschuhe. So möchte man die Auswirkungen der verwendeten Materialien, aber auch jeden Produktions- und Vertriebsschritt verbessern. Ein Beispiel, das auch andere Marken inspirieren sollte. Es ist offensichtlich machbar, auf allen Ebenen nachhaltig zu agieren und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die Umsätze von VEJA jedenfalls sind längst im dreistelligen Millionenbereich angekommen – Tendenz steigend.