Gedankenspiele

Editorial

Markus Oess, ©FT

Waren Sie schon mit Ihrem Avatar auf Shoppingtour? Hat er auch einen Namen? Was aber, wenn dieser Avatar im Netz arbeitet, Geld verdient und plötzlich ermordet wird? Wir haben uns auch in der Gamingszene umgehört, die aktuell die ganze Entwicklung antreibt; was die Macher dort sagen über die Chancen und Gefahren des Metaverse. Es bildet in dieser Ausgabe unser Schwerpunktthema. Die Illusion findet im Kopf statt. Allerdings sind die Gedankenspiele und die Umstände dieser Illusion sehr wohl mit realen und konkreten Interessen und Vorgaben verbunden. Die Rede ist vom Metaverse und vom Web3, das, wie die HDE-Expertin Marilyn Repp im FT-Interview unterstreicht, die digitale Welt revolutionieren und demokratisieren wird. Die Rede ist von Blockchain-Technologie, die neben neuen (Geschäfts-)Modellen auch mehr Sicherheit und die Demokratisierung der Daten mit sich bringen soll, weil sie nicht mehr auf Einheiten weniger großer Tech-Konzerne und Staaten konzentriert ist, sondern auf viele Einheiten, die auch bei Manipulation einzelner Einheiten an den Daten selbst keinen Eingriff vornehmen können, da sie immer noch unverändert auf den anderen Speichereinheiten liegen. Bestenfalls können dann wir entscheiden, wem wir für wie lange welche Daten freigeben oder nicht. Ein Gedanke, an den ich mich gerne gewöhnen kann, sofern nicht doch alle Einheiten durchgehend manipuliert werden können, gerade in Zeiten wie diesen.

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Ein Gedankenspiel dieser Blockchain-Technologie ist auch das Metaverse. Eine Idee, besser gesagt eine Vision von neuer virtueller Realität, von der wir im Grunde noch nicht wissen, wie sie tatsächlich aussehen wird, was wir dort erleben könnten. Trotzdem gibt es nicht erst seit gestern, auch in der Mode, meist von solventen Konzernen angeschobene Projekte, die, obzwar technologisch noch in den Kinderschuhen, zumindest eine leichte Ahnung geben, was das Metaverse sein könnte. Denn eines ist schon klar: Die Welt wird anders sein, wenn das Metaverse kommt. Wir haben die Internet-Pionierin Renata DePauli und Alberto-Chef Marco Lanowy gebeten, Stellung zu beziehen zu sieben Thesen zum Metaverse, denn beide arbeiten seit Jahren zusammen in verschiedenen Digitalprojekten und auch, was das Metaverse angeht. Beide betonen, wie wichtig „die Pluralität, die Offenheit und Vielfalt der parallel existierenden Metaversen sein werden. Ein zentralisiertes, von einem Staat, Unternehmen oder einer Interessengruppe kontrolliertes Metaverse wäre die dystopische Zukunftsvision einer unfreien Gesellschaft.“ Recht haben sie und deswegen ist es gerade heute so wichtig, die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken.

Was Staaten und Konzerne anrichten können, erfahren wir gerade wieder in schmerzlicher Intensität. facebook wurde schon oft genug der Missbrauch von Daten und Macht vorgeworfen. Dass der Konzern jetzt Meta heißt, macht es nicht besser, zeigt aber die Richtung, wohin der Tech-Gigant gehen will. Und was die Staaten angeht, genügt ein Blick auf die Staatschefs in Russland oder China, Wladimir Wladimirowitsch Putin und Xi Jinping, die ganz real vor brutaler Gewalt nicht zurückschrecken und auch ganz natürlich Cyberattacken und -krieg sowie Manipulation zur Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen. Wir haben mit der Schriftstellerin Sarah Raich über ihr neues Buch gesprochen, in dem sie ihre (Roman-)Vision für die nahe Zukunft beschreibt. Und die ist so, wie auch Renata DePauli und Marco Lanowy sie nicht wollen: dystopisch. Noch haben wir es selbst in der Hand, wie unsere Zukunft aussehen kann, genau deswegen müssen wir uns auch mit ihr beschäftigen.

Wir haben uns aber auch der Realität von heute zu stellen. Wir haben konkret nachgefragt, wie der Handel sich für den kommenden Winter rüstet. Wir haben auch mit dem Vorstand von LUDWIG BECK und WÖHRL-Inhaber Christian Greiner über Fortschritt und Aufbruch gesprochen und wie wichtig es ist, als Unternehmen seine Reaktionsfähigkeit und -schnelligkeit in Krisenzeiten zu stärken, in denen nicht klar ist, was auf uns zukommt, und daher Vorkehrungen nur eingeschränkt möglich sind. Wir beschäftigen uns mit der MICAM Milano 94 und wagen einen modischen Ausblick auf die kommende Saison, denn trotz allem geht das Geschäft weiter. Wir haben mit dem HILTL-Chef Gerhard Kränzle über sein Projekt Made in Germany gesprochen und die Möglichkeit, in naher Zukunft ein Drittel der Hosen wieder am Stammsitz zu fertigen. Ein Gedanke, der Mut macht, denn auch wenn sich das Rad der Globalisierung nicht zurückdrehen lässt, müssen wir Wege finden, unsere Abhängigkeiten zu reduzieren, das geht einmal durch die Verteilung des Ausfallrisikos auf viele, aber auch durch die Rückbesinnung auf eigene Fähigkeiten und Kapazitäten. Und dieser Gedanke ist durchaus hilfreich in heutigen Zeiten.

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Ihr

Markus Oess